Hinter dem Abenteuerspielplatz sieht es abenteuerlich aus: Denn an der Kreisstraße 39 nahe Bispingen hat Sturm „Zeynep“ heftig gewütet, fast jeder dritte Baum liegt am Boden. Die gute Nachricht: Nach den bereits gerodeten Fichten wären dort auch die meisten Kiefern demnächst gefallen - der Orkan kam dem Menschen hierbei allerdings zuvor. Die Nadelbaumbestände dort so stark zu lichten, hat einen Grund: Der Quellbereich der Luhe soll hier weitläufig renaturiert werden. Am vergangenen Freitag stellt Svenja Stelse-Heine, Geschäftsführerin der Naturschutzstiftung Heidekreis und der Naturschutzstiftung Heidekreis GmbH, das Projekt vor. Dass dieses umgesetzt werden kann, ist vor allem den Grundeigentümern Kathrin und Hans Peter Bockelmann zu verdanken, die die Maßnahmen schon seit einiger Zeit vorangetrieben haben und auch weiter begleiten.
„Bereits seit 2015 reden wir über diese Maßnahme“, erinnert sich Hans Peter Bockelmann, „damals noch mit den Vorgängern von Frau Stelse-Heine.“ Die bestätigt, dass vieles länger gedauert habe, als ursprünglich gedacht, „aber jetzt freuen wir uns umso mehr, dass wir es gemeinsam hinbekommen haben.“ Und die Luhe direkt an der Quelle neu „aufzubauen“ und das Ursprungsgebiet des Fließgewässers zu renaturieren, „dass ist das Beste, was einem Fluss passieren kann“, freut sich die Geschäftsführerin der Naturschutzstiftung Heidekreis GmbH. Die Gesellschaft finanziere das Projekt und vermarkte die Flächen als Ausgleichsgebiete an Bauträger, so Stelse-Heine.
Bisher sei die Luhe in diesem Bereich begradigt und stark eingetieft, erklärt die Geschäftsführerin: „Ein für Fische und Makrozoobenthos (winzige, tierische Organismen, die den Gewässerboden bilden) lebenswichtiges Kiesbett fehlt. Durch die Eintiefung zieht die Luhe Wasser außerdem aus den umgebenden Wäldern und Grünländern, trocknet sie sozusagen aus.“ Zudem habe die Nadelstreu der Fichten und Kiefern den Boden versauert, was zu Nährstoffauswaschungen in der Luhe geführt habe: „Die Wasserqualität litt.“ Weiter im Unterlauf, etwa im Ortskern Bispingen, sei die Luhe bereits 2004 als FFH-Gebiet (Fauna-Flora-Habitat-Gebiet) gemeldet worden, weiß Stelse-Heine, „Doch nur wer den Quellbereich eines Gewässers schützt und entwickelt, wird eines Tages das gesamte Gewässer positiv gestalten können.“ So sieht es nicht nur die Naturschutzstiftung, sondern auch Familie Bockelmann: „Wir wollen das Gebiet gemeinsam zu einem Habitatraum entwickeln.“
Dafür sind tiefgreifende Maßnahmen nötig: „Eine Anhebung der Wasserstände, die zu einer Verlangsamung des Flussablaufs und Vernässung des angrenzenden Grünlands sowie der Wälder führt, ermöglicht eine Wiederansiedlung typischer Tier- und Pflanzenarten wie Fischotter, Eisvogel oder Kuckuckslichtnelke“, erläutert Stelse-Heine. Ferner verhindere der „Umbau“ der Nadelwälder zu naturnahen Au- und Buchenwäldern ein Versauern des Bodens und das Auswaschen von Nährstoffen: „Dadurch ergibt sich eine Aufwertung der Wasserqualität für die Luhe, wovon typische Fischarten wie Bachforelle, Elritze oder Äsche und das Makrozoobenthos profitieren.“ Außerdem sollen der Waldumbau und die Vernässung das CO2-Speicherpotential erhöhen: „Die rund 12.000 neu zu pflanzenden Buchen speichern deutlich mehr CO2 als die bisherigen Nadelwälder.“
Einige der bereits gesetzten jungen Buchen habe der Sturm leider stark in Mitleidenschaft gezogen, so Bockelmann. Doch das vermeintliche „Chaos“ nach dem Orkan tue dem naturschutzfachlichen Ziel keinen Abbruch, sind sich Grundeigentümer und Geschäftsführerin einig: Das Stammholz werde noch „gerückt“ und verkauft, „das Kronenmaterial verbleibt als liegendes Totholz und wird damit Lebensraum für Insekten, Reptilien, Flechten und Pilze in der Fläche“, so Stelse-Heine. „Auch die Wurzelteller sollen in ihrer wirren Form erhalten werden, denn Ameisen, Käfer und - weiter in der Narungskette - Spechte und Fledermäuse finden daran besonderen Gefallen.“ Für letztere sollen noch mindestens zehn Habitatsbäume je Hektar stehen bleiben.
Es wird für den Laien also noch eine ganze Weile etwas abenteuerlich aussehen auf dem Areal am Abenteuerspielplatz - und bald auch nass: „Die Luhe selbst wird durch den Einbau von Sohlschwellen angehoben, Äste und Wurzelstubben werden den Flusslauf auf natürliche Weise verändern“, so Stelse-Heine. Bis hier ein Wald mit hohen Buchen stehe, „wird es 40 bis 50 Jahre dauern“, schätzt Bockelmann. Eine solche Renaturierung sei eben ein langwieriges Projekt, so der Grundeigentümer, „aber wir wollen das ganze ja auch für die kommenden Generationen anlegen.“