Wettschulden sind Ehrenschulden – Bürgermeister will die Tickets sehen | Aktuelle Nachrichten und Informationen

Bispingens Gemeindeoberhaupt Jens Bülthuis fungiert im Heide-Express beim Start in die neue Saison als Schaffner

Wettschulden sind Ehrenschulden – Bürgermeister will die Tickets sehen

Wettschulden sind bekanntlich Ehrenschulden. Nach seiner verlorenen Wette im Rahmen des Festwochenendes zum Jubiläum „50 Jahre Einheitsgemeinde“ Mitte Juni dieses Jahres kommt Dr. Jens Bülthuis, Bürgermeister der Gemeinde Bispingen, am vergangenen Mittwoch seiner moralischen Verpflichtung nach und löst seine „Schuld“ ein. Wie versprochen, schlüpft er bei der ersten Fahrt des historischen Bispinger Heide-Expresses in dieser Saison in die Rolle des Schaffners. Stilecht im entsprechenden Outfit, die Lochzange fest im Griff, trägt er gut gelaunt dafür Sorge, dass sich bei der Kombination aus Eisenbahnromantik und Städteausflug nach Lüneburg keine Passagiere die Beförderung erschleichen. Müssen sich Kartenkontrolleure im regulären Personennahverkehr zunehmend mit renitenten „Fahrgästen“ auseinandersetzen, die öffentlich Verkehrsmittel unberechtigterweise zum Nulltarif nutzen, so hat es der Bürgermeister an „seinem“ Bahnhof mit gesitteten und freundlichen Passagieren zu tun. Bei bestem Ausflugswetter und blauem Himmel sind keine „Schwarzfahrer“ in Sicht. Es gibt keine Vorkommnisse, die jemanden aus der Bahn werfen.

„Es ist wunderbar, dass ich hier erstmalig Schaffner im Heide-Express sein darf“, sagt Bülthuis. Was die Kartenkontrolle angeht, hat er an diesem Tag den Hut auf, besser gesagt eine Dienstmütze. Diese ist zwar ein wenig unterdimensioniert und „zwickt“, wie der Bürgermeister schmunzelnd einräumt, insgesamt aber macht er, die zur Ausrüstung gehörende Ledertasche über die Schulter geschnallt, in der für ihn ungewohnten Uniform eine gute Figur. Als Gemeindeoberhaupt kommt er hin und wieder nicht umhin, lange Reden zu halten, diesmal aber sollten bei der Ausübung seines vorübergehenden „Zweitjobs“ eigentlich drei Worte reichen: „Die Fahrkarte bitte.“

Dem ist aber nicht so, denn bereits beim Warten auf den Zug ist der Interimskontrolleur an den Gleisen gefragter Ansprechpartner. Viele der 80 Fahrgäste, die in Bispingen zusteigen, bitten um ein „schnelles Foto“ oder haben eine Frage. Darüber hinaus gilt es, gemeinsam mit dem Team der Bispingen-Touristik etliche bekannte und unbekannte Gesichter am Bahnsteig zu begrüßen. Es gibt ein großes Hallo an den Gleisen, während das jüngere Publikum bereits ein wenig ungeduldig wird. „Wann kommt den endlich der Zug?“, fragt ein Junge seine Mutter. Aber auch die älteren Fahrgäste schauen an den Gleisen entlang. Viele wollen die Einfahrt des Zuges mit ihren Mobiltelefonen filmen. Dieser jedoch lässt ein wenig auf sich warten.

Wer als Pendler darauf angewiesen ist, dass die Züge pünktlich fahren, wird angesichts der Verspätungen, Pannen und Ausfälle bei der Deutschen Bahn schon mal ungehalten. Die Wartenden auf dem Bispinger Bahnhof hingegen haben sich ganz bewusst für einen gemütlichen Schienenbummel mit dem Oldtimerzug entschieden. Dementsprechend tiefenentspannt wartet auch der 34-jährige Christian Sitarz aus Evendorf auf den Zug. Er ist sozusagen Stammgast und fährt im Nostalgie-Shuttle quasi seit der ersten Stunde mit – und das Jahr für Jahr. „Weil die Fahrten stets in meine Urlaubszeit fallen, nutze ich sie als eine Art Urlaubsabschluss“, so der Evendorfer. Er mag aus nostalgischen Gründen „die entspannte Art des Reisens“, genießt im Zuge der Tour aber auch den Aufenthalt in Lüneburg.

Dann ist es soweit, die kraftvolle Diesellokomotive 46-01 des Typs 600 D mit ihren 600 Pferdestärken Leistung und vier gekuppelten Achsen rollt heran. Von der Lok, Baujahr 1955, sind deutschlandweit nur noch sechs Exemplare erhalten. Und somit wird dem „Oldie“, zumal er fast sieben Jahrzehnte auf dem Buckel hat, eine Verspätung ohne Murren verziehen.

In Zeiten von Internet und Dauererreichbarkeit verzichten die Fahrgäste im Heide-Express nur allzu gern auf W-LAN im Zug und anderen technischen Schnickschnack. Ratternd und rustikal soll es über die Schwellen gehen, auch das Drumherum darf gern wie früher vonstattengehen. Die Tickets zum Beispiel lassen sich knicken und falten, das typische Geräusch der Lochzange beim Entwerten unterstreicht, dass hier alles in geregelten Bahnen verläuft.

„Ich habe so etwas noch nie gemacht, aber wie heißt das so schön: life is learning“, sagt Bülthuis bei seiner ersten Kontrolle. An Bord herrscht internationales Flair, unter anderem ist eine Familie aus Eritrea an Bord. „Die Tochter der Familie war kürzlich bei der Kinderratssitzung dabei. Dort habe ich alle Kinder, die noch nicht im Urlaub waren, gebeten, die Hand zu heben. Und sie machte das“, berichtet Bülthuis. Deshalb spendierte die Gemeinde in Zusammenarbeit mit der Bispingen-Touristik Karten für die Familie, damit diese wenigstens einen „Kurzurlaub“ in Lüneburg genießen kann. Insgesamt 20 Tickets wurden an ältere Bürgerinnen und Bürger und diejenigen verschenkt, die über nicht besonders gut gefüllte Geldbeutel verfügen.

Kaum hat sich Bülthuis die ersten Tickets zeigen lassen, da fährt der Zug auch schon los. „In Soltau sind 40 Fahrgäste zugestiegen. Mit insgesamt 120 Personen ist diese Fahrt ausgebucht“, freut sich Lena Großholz von der Bispingen-Touristik.

Mit der ersten Fahrt ist die neue Saison des Bispinger Heide-Expresses eingeläutet. Der Museumszug bringt die Fahrgäste von Soltau und Bispingen vorbei an idyllischen Orten wie Amelinghausen und Steinbeck nach Lüneburg und pendelt in diesem Jahr vom 24. Juli bis 11. September – und zwar immer mittwochs. Weitere Informationen und Tickets für die Fahrten erhalten Interessierte direkt über die Bispingen-Touristik. Reservierungen von Karten für die Fahrten im Heide-Express sind auch online unter der Adresse www.bispingen.de möglich.

HK-Video zum Heide-Express-Auftakt 2024 (mk): https://www.facebook.com/heidekurier.news/videos/1248786629898507