„Liebe Patientinnen und Patienten, am Mittwoch, dem 14. Juni, bleibt unsere Apotheke aufgrund eines bundesweiten Protesttages geschlossen. Wir folgen damit dem Aufruf der ABDA, sich solidarisch für die Forderungen aller Apotheken stark zu machen. Näheres hierzu erfahren Sie in unserer Apotheke und den Medien. Bitte versorgen Sie sich bereits vor diesem Tag mit wichtigen Arzneimitteln. Vielen Dank für Ihr Verständnis“ - dieser Lauftext ist seit einigen Tagen auf der Internetseite der Bahnhof-Apotheke in Schneverdingen zu lesen. Diese beteiligt sich wie etliche weitere Apotheken im Heidekreis an der bundesweiten Initiative „Gegen Zukunftsklau“, die am Tag der Apotheke am 7. Juni von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) gestartet wurde und an der sich laut Landesapothekerverband Niedersachsen und Apothekerkammer Niedersachsen „hunderte junge Pharmazeutinnen und Pharmazeuten aus der ganzen Republik beteiligen.“ Ein Bestandteil der Protestaktionen ist am 14. Juni die Schließung der Apotheken für einen Tag.
Fast alle Apotheken in Niedersachsen leiden unter Nachwuchsmangel und Personalnot. Zugleich befürchten viele junge Apothekerinnen und Apotheker, dass der „Arbeitsplatz Apotheke“ mangels Unterstützung durch die Politik gefährdet ist. Deshalb unterstützen sie die bundesweite Initiative „Gegen Zukunftsklau“.
„Alle 27 Stunden geht in einer Apotheke das Licht aus. Für immer“, sagt Apotheker Philipp Schaefer, der die Bahnhofs-Apotheke in Schneverdingen führt, in Anlehnung an die Kampagne. „Als Apotheke sind wir nicht nur für die zuverlässige Versorgung aller Patienten mit Medikamenten verantwortlich, sondern auch Arbeitgeber und Geschäftspartner für viele Unternehmen in der Region. Es geht um die langfristige Existenz der Vor-Ort-Apotheken“, so Schaefer. Und weiter: „Wir werden uns am 14. Juni am Protest beteiligen und freuen uns über alle Kolleginnen und Kollegen im Heidekreis, die es uns gleichtun und somit ein starkes und solidarisches Zeichen in Richtung Politik senden.“ Er appelliert an alle Patientinnen und Patienten, „sich schon vor diesem Tag mit wichtigen Medikamenten zu versorgen.“ Die Mühlen-Apotheke in Munster werde für alle Patienten am 14. Juni mit einem regulären Notdienst geöffnet haben. Schaefer hebt hervor, was die Apotheken mit ihrem Protest erreichen wollen: „Weniger Bürokratie beim Management der Lieferengpässe, einen fairen Ausgleich für die in diesem Zusammenhang geleistete Mehrarbeit und nach zehn Jahren Stillstand eine angemessene Anpassung der Vergütung.“
Bei der „Alten Stadtapotheke“ in Soltau bleiben die Türen am kommenden Mittwoch ebenfalls geschlossen. Deren Chefin Doris Seelig macht sich angesichts der Entwicklung Sorgen. Das zunehmende Apothekensterben in Deutschland werde Folgen haben, gerade im ländlichen Raum und insbesondere für ältere Bürgerinnen und Bürger. Auch sie weist auf die großen Herausforderungen hin, die Apothekerinnen und Apotheker derzeit kaum noch meistern könnten.
„Es gibt große Probleme bei der Warenbeschaffung, da werden inzwischen 20 Prozent der Arbeitszeit verbraucht“, so Selig. Zudem sei die Vergütung seit knapp elf Jahren nicht angepasst worden, „aber es wird alles immer teurer. Und wenn sich das Ganze für eine Apotheke nicht mehr rechnet, dann macht sie zu.“ Darüber hinaus müssten die Gehälter angepaßt werden. „Wir brauchen einen vernünftigen Topf, aus dem wir gut geschultes Personal bezahlen können“, unterstreicht Seelig. Schwer im Magen liegt vielen Arzneimittelversorgerinnen und -versorgern auch die Problematik „Nullretaxionen“. Es gibt immer wieder Fälle, in denen Kassen die Zahlung verweigern, selbst wenn am Rezept nur eine Kleinigkeit zu bemängeln ist. „Da bleibt man dann schon mal wegen eines kleinen Formfehlers auf Kosten in Höhe von um die 1.500 Euro sitzen“, ärgert sich Seelig.
In Niedersachsen sind laut Landesapothekerverband und Apothekerkammer täglich rund 1.745 Apotheken für Patientinnen und Patienten eine wichtige Anlaufstelle in Gesundheitsfragen. Jede Nacht beziehungsweise jeden Sonn- und Feiertag leisteten dabei 132 Apotheken im Bundesland Notdienst. Auch Berend Groeneveld, Vorstandsvorsitzender des Landesapothekerverbandes Niedersachsen (LAV), beklagt den „massiven Personalmangel“, die „sich immer mehr zuspitzenden Lieferengpass-Krise“ sowie das seit mehr als zehn Jahren nicht mehr erhöhte Apothekenhonorar. Er unterstreicht: „Mit der Initiative ‚Gegen Zukunftsklau‘ wehren wir uns nun gegen die schon seit Jahren anhaltende Ignoranz der Politik!“
Der pharmazeutische Nachwuchs will nun mit der Kampagne, durch Gespräche mit Patienten und öffentlichkeitswirksame Aktionen, zu denen Pressekonferenzen, Videos auf Social-Media-Kanälen und Protestkundgebungen zählen, „mit einer Prise Humor auf diese Missstände hinweisen.“ Zugleich wird die Politik dazu aufgerufen, „eine echte Perspektive für die Arzneimittelversorgung der Zukunft zu schaffen.“
„Für die Apothekerinnen und Apotheker in Niedersachsen ist es ein Herzensanliegen, die jungen Kolleginnen und Kollegen dabei zu unterstützen“, sagt Cathrin Burs, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen. Es gehe darum, von der Politik nachdrücklich bessere Rahmenbedingungen einzufordern. „Die Apotheken bieten eine Vielfalt von interessanten Aufgaben im Zusammenspiel von Wissenschaft und Patientenkontakt – und gerade für junge Menschen gibt es spannende Herausforderungen wie das Medikationsmanagement“, betont Burs.
Und LAV-Vorstandsvorsitzender Groeneveld: „Bei anhaltenden Lieferengpässen, zunehmender Bürokratie, Honorar-Streichungen durch die Krankenkassen sowie steigenden Kosten wird es für junge Menschen immer unattraktiver, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen, beziehungsweise eine Apotheke zu betreiben. Unsere jungen Pharmazeutinnen und Pharmazeuten stecken jedoch nicht den Kopf in den Sand, sondern machen Lärm und suchen das Gespräch – ob auf der Straße, in den Sozialen Medien oder in der Apotheke.“
Landesapothekerverband und Apothekerkammer schlagen Alarm: In Niedersachsen gebe es inzwischen 368 Betriebsstätten weniger als noch vor 14 Jahren. Neben den 1.370 Apothekeninhaberinnen und -inhabern arbeiteten dort 14.982 Beschäftigte, darunter 94 Prozent Frauen.
Weitere Informationen rund ums Thema finden Interessierte im Internet unter den folgenden Adressen: www.lav-nds.de, www.apothekerkammer-niedersachsen.de und www.abda.de.