Kostenexplosion und spätere Fertigstellung? | Aktuelle Nachrichten und Informationen

Projektbeirat Alpha-E nimmt Stellung zu Unterlagen für den Bundestag

Kostenexplosion und spätere Fertigstellung?

Sie soll eines der größten Infrastrukturprojekte Deutschlands werden: die geplante und umstrittene Neubaustrecke Hannover - Hamburg der Bahn. Die Strecke zwischen Hannover-Vinnhorst und Hamburg-Meckelfeld soll 109 Kilometer lang werden, zweigleisig, elektrifiziert und auf hohe Geschwindigkeiten ausgelegt sein. Das Bundesministerium für Verkehr unterstreicht, dass die Planung auf der Vorzugsvariante der DB InfraGO AG basiert, geprüft und bewertet vom Eisenbahn-Bundesamt (EBA). Den Bericht über das Ergebnis der Vorplanung und frühen Öffentlichkeitsbeteiligung hat das Bundesministerium für Verkehr inzwischen an den Bundestag weitergeleitet. Dieser soll voraussichtlich im kommenden Jahr über die Finanzierung des Projekts entscheiden. Die Dokumente liegen auch dem Projektbeirat Alpha-E aus Bohlsen im Landkreis Uelzen vor, der im Nachgang des Dialogforums Schiene Nord gegründet worden war. Die Unterlagen enthüllten, so heißt es in einer Mitteilung des Projektbeirats, „die erschreckende Wahrheit über dieses Projekt.“ Es drohe die Gefahr einer Kostenexplosion und mit einer Fertigstellung sei womöglich erst in 38 Jahren zu rechnen.

Der Projektbeirat Alpha-E sieht sich als Vertreter der betroffenen Kommunen, Landkreise und Bürgerinitiativen. Er hatte bereits im Dialogforum Schiene Nord die sogenannten „Alpha-E-Bedingungen“ definiert, darunter Lärm- und Gesundheitsschutz sowie Verbesserungen des Nahverkehrs. Der Projektbeirat vertritt die Interessen der Region und setzt sich für den Ausbau der Bestandsstrecken ein.

Aus den Unterlagen des Bundesverkehrsministeriums für den Bundestag geht hervor, dass die neue Strecke vor allem dem Fernverkehr dient und nicht dem Pendlerverkehr im Heidekreis. Überholbahnhöfe in Soltau, Bergen und weiteren Orten sind demnach zwar vorgesehen und könnten theoretisch als Haltepunkte für den Regionalverkehr ausgebaut werden. Die Verantwortung für Betrieb und Finanzierung solcher Haltepunkte liegt jedoch beim Land Niedersachsen und den Kommunen, nicht beim Bund. Das Eisenbahn-Bundesamt weist explizit darauf hin, dass diese Punkte daher nicht im Bedarfsplan enthalten und nicht Teil der aktuellen Projektfinanzierung sind. Auch der Forderung nach einer anderen Trassenführung durch die Gemeinde Bispingen erteilt das Eisenbahn-Bundesamt eine Abfuhr. Durch die gewählte Trasse in Bispingen würden Gewerbegebiete und sensible Wasserflächen weitgehend unberührt bleiben. Andere Varianten, etwa eine Verschiebung östlich durch bewaldetes Gebiet, würden die Umwelt stärker belasten und höhere Genehmigungsrisiken bergen.

Die Inbetriebnahme der Neubaustrecke ist offiziell für 2050 vorgesehen. In einer Risikoanalyse rechnet die Infrastrukturgesellschaft der Bahn jedoch mit möglichen Verzögerungen von bis zu 13,5 Jahren. Damit könnte die Strecke womöglich erst 2063 fertiggestellt werden. „Eine Neubaustrecke, die frühestens in 25 Jahren, vielleicht auch erst in 38 Jahren fertig ist, nützt leider gar nichts für die aktuellen Probleme. Es ist sogar noch schlimmer, denn durch die weitere Planung dieser Neubaustrecke würden Ressourcen gebunden und die dringend notwendigen Kapazitätserweiterungen würden weiterhin blockiert werden, wie es bereits bei der Y-Trasse in der Vergangenheit der Fall war“, kritisiert der Projektbeirat Alpha-E. Und weiter: „Die Baukosten werden mit 8,804 Milliarden Euro angegeben, allerdings sind hier noch zahlreiche Baukosten- und Verzögerungsrisiken ausgeblendet. Die Gesamtwertprognose, wie sie auch in der Bedarfsplanumsetzungsvereinbarung als Maßstab vereinbart ist, beinhaltet auch diese Risiken und die DB InfraGO berechnet hierfür 14,121 Milliarden Euro“, so der Projektbeirat.

Im Zuge seiner Kritik macht der Projektbeirat deutlich, dass er mit seiner Einschätzung, dass ein Bahnhof „Soltauer Heide“ auf der neu geplanten ICE-Strecke wohl nur ein Lockangebot gewesen sei, offenbar richtig gelegen habe. Die Bahn hatte im Vorfeld ein Büro mit der Ausgestaltung dieser Bahnhofsidee und der visuellen Umsetzung beauftragt, und die Kosten für die Nahverkehrshalte in Soltau und Bergen wurden auch in der Vorplanung berücksichtigt. Nun allerdings steht fest, dass der Bund die Baukosten für den Bahnhof für den Schienenpersonennahverkehr im Zuge der möglichen Umsetzung der ICE-Strecke offenbar nicht übernehmen wird. Diese Kosten wie auch der spätere Betrieb sind gesetzlich Sache des Landes und der Kommunen, wie aus den Unterlagen des Verkehrsministeriums und des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) hervorgeht. Außerdem ist nach den Planungen nicht vorgesehen, die Amerikalinie an die ICE-Trasse anzubinden, wie vom Heidekreis vorgeschlagen. Für eine solche Anbindung könnten jedoch alternative Förderprogramme infrage kommen.

Zusätzlich zu den offiziell geplanten Baukosten von rund 8,8 Milliarden Euro hatten die betroffenen Regionen wie der Heidekreis weitere Forderungen zur Verbesserung für Pendler, Anwohner und Umwelt formuliert. Laut den Unterlagen summieren sich diese auf fast fünf Milliarden Euro. Darin enthalten sind unter anderem die beiden SPNV-Haltepunkte (SPNV: Schienenpersonennahverkehr) „Soltauer Heide“ und Bergen, deren alleinige Baukosten mit rund 596 Millionen Euro veranschlagt werden. Das EBA weist in seinem Bericht darauf hin, dass diese Forderungen über das gesetzlich Vorgesehene hinausgehen und daher nicht Bestandteil des Bedarfsplans sind. Eine Finanzierung durch den Bund sei somit nicht vorgesehen; die Verantwortung liege bei Land und Kommunen. Würden die Forderungen dennoch umgesetzt, drohten massive Mehrkosten, die den Nutzen des Projekts erheblich schmälern könnten.

Der Projektbeirat Alpha-E hat ausgerechnet, dass der Neubau auch ohne die Umsetzung der regionalen Forderungen nicht wirtschaftlich sei. Falls die Kosten tatsächlich – wie in den Unterlagen berücksichtigt – auf 14 Milliarden Euro für die 109 Kilometer lange Neubautrasse stiegen, würde die relevante Zahl 1 für den Kosten-Nutzen-Faktor nicht erreicht. Auf Basis der Gesamtwertprognose ergibt sich laut Projektbeirat „ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 0,935. Auf einer realistischen Kostenbasis ist das Projekt somit unwirtschaftlich.“ Neben dem Fernverkehr ist die neue ICE-Neubaustrecke explizit für den Seehafenhinterlandverkehr ausgelegt. Das EBA hebt in seiner Bewertung hervor, dass die Strecke vor allem dazu dient, zentrale Engpässe im deutschen Schienennetz zu beseitigen und den Transport von Containern und Gütern zwischen den norddeutschen Seehäfen und den Metropolen Hannover und Hamburg zu beschleunigen. Die vorgesehenen Überholbahnhöfe, unter anderem in Ramelsloh, Garlstorf, Evendorf, Bockel, Feuerschützenbostel, Bispingen, „Soltauer Heide“ und Bergen, sind in erster Linie so dimensioniert, dass hohe Geschwindigkeiten für Fern- und Güterzüge ermöglicht werden. Auch im Störfall sollen so die Betriebsqualität und Pünktlichkeit auf der Strecke sichergestellt werden.

Was den Projektbeirat Alpha-E ebenfalls auf die Palme bringt, ist, dass „das raumordnerische Gebot der Trassenbündelung mit Füßen getreten wird.“ Nicht einmal auf zehn Prozent der Strecke gebe es eine Bündelung, im Wesentlichen beim Streckenabschnitt bei Soltau. „Ansonsten läuft die Strecke überwiegend Kilometer von der Autobahn 7 beziehungsweise Bundesstraße 3 entfernt durch die freie Landschaft“, heißt es in der Mitteilung. Und weiter: „Für Neubaustrecken ist eine Raumverträglichkeitsprüfung zwingend erforderlich, erst auf dieser Grundlage kann ein Bundestagsbeschluss eine konkrete Strecke festlegen. Stattdessen wird von der DB InfraGO auf die vollkommen intransparente Untersuchung durch den Vorhabenträger selbst verwiesen. Auf diese Weise werden die Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit bei der Trassenfindung komplett ausgehebelt.“

Zudem wird es wohl keinen zusätzlichen Lärm- und Erschütterungsschutz für die Region geben. Dieser orientiert sich laut Unterlagen ausschließlich an den gesetzlichen Vorgaben. Auch die Forderungen aus dem Heidekreis, alle Lärmquellen – also auch die Geräusche der Autobahn 7 – bei der Bewertung zu berücksichtigen und zu summieren, sind nicht vorgesehen. Das EBA weist diese Forderung zurück. Es verweist darauf, dass die Lärmbewertung ausschließlich nach den geltenden gesetzlichen Vorgaben vorgenommen wird. Die Neubaustrecke werde daher nur „für sich“ betrachtet und bewertet.

Der Projektbeirat Alpha-E kritisiert zudem, dass die DB InfraGO bisher keine Bürgerbeteiligung im eigentlichen Sinne realisiert habe. Die angebotenen Informationsveranstaltungen mit unterschiedlichen Themeninseln seien kein Beteiligungsformat: „Eine Bürgerbeteiligung, wie sie nach dem ‚Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung‘ des Verkehrsministeriums erforderlich gewesen wäre, hat nicht stattgefunden.“ Und in Sachen Klimaschutz sei die Neubaustrecke „eine Katastrophe.“ Deutschland wolle bis 2045 klimaneutral werden, Niedersachsen sogar bis 2040. „Der Bau der Strecke würde die CO2-Bilanz also noch weit über den Zeitpunkt der angestrebten Klimaneutralität hinaus belasten, ohne dass es bis dahin irgendeine CO2-Einsparung gäbe“, heißt es in der Mitteilung des Projektbeirats.