In der Corona-Zeit lag vieles brach, es gab kaum Veranstaltungen und wenig soziale Kontakte, stattdessen Homeoffice und Abende auf dem heimischen Sofa. Im vergangenen Jahr ebbte die Pandemie ab, Einschränkungen wurden gelockert und langsam kehrte Normalität zurück. Mittlerweile haben fast alle die FFP2-Maske komplett an den Nagel gehängt, und erleben einen Alltag wie „vor dem Virus“. „Die Normalität hat uns wieder“, stellt auch Stefan Sengel fest, „und das ebenso in den Bereichen, in denen wir uns das eigentlich nicht unbedingt wünschen“, so der Leiter der Polizeiinspektion (PI) Heidekreis. Und damit meint der Polizeidirektor die „Normalität“ im Alltag der Beamten, die im vergangenen Jahr ganz ähnlich gewesen sei wie vor der Pandemie: „Wir sind wieder dort, wo wir vor Corona waren“, blickt Sengel auf die Entwicklung der Kriminalität des Jahres 2022 im Heidekreis zurück. Die Statistik dazu stellt er am gestrigen Mittwoch zusammen mit dem Leiter des Zentralen Kriminaldienstes, Polizeirat Philipp Vollmer, sowie Kriminalhauptkommissar Steffen Schulz vom Fachkommissariat Forensik vor.
Während Dienststellen in anderen Landkreisen ihre Zahlen zum Teil nur noch als Mitteilung an die Medien versenden, bleibt die Vorstellung der Kriminalstatistik für den Heidekreis ein „echter Termin“: „Und das soll auch so bleiben, wir möchten da transparent und für Fragen offen sein“, so Sengel beim Pressegespräch in der PI in Soltau. Deren Leiter stellt am Anfang der Bilanz für das vergangene Jahr natürlich erst einmal die Gesamtzahl des „Straftatenaufkommens“ vor: 11.560. Das sind mehr als in den Pandemiejahren (10.339 im Jahr 2021 und 10.550 im Jahr 2020), „aber mit dem Anstieg der Straftaten in dem Maß liegen wir, verglichen mit anderen Regionen, im Trend“, erläutert Vollmer.
Über dem Landesdurchschnitt – und das im positiven Sinne – liege laut Polizeirat die Aufklärungsquote mit 66,89 Prozent (2021: 67,69 Prozent, 2020: 66,86 Prozent und 2019: 66,52 Prozent). „Wir sind zufrieden“, so der Leiter des Zentralen Kriminaldienstes. Nicht nur mit der Aufklärungsquote, sondern insgesamt mit der Arbeit des gesamten PI-Teams sei auch Sengel sehr zufrieden, der zudem das Engagement der Kollegen lobt. Denn die hätten nach Corona wieder mehr zu tun, „aber wenn mehr Straftaten zu verzeichnen sind, fallen ja nicht plötzlich zehn neue Beamte vom Himmel.“ Also musste die Polizeiinspektion mit ihrer Teamstärke von rund 350 Kräften auskommen.
In welchen verschiedenen Bereichen sie 2022 tätig waren, schlüsselt die Kriminalstatistik so auf: Einen Zuwachs gab es etwa bei der Zahl der Sexualdelikte von gesamt 160 (2020) und 269 (2021) auf 333 im vergangenen Jahr. „Ein deutlicher Sprung“, bestätigt Vollmer. Der starke Anstieg habe aber auch damit zu tun, „das hier aufgehellt werden konnte, was sonst eine Dunkelziffer geblieben wäre, beispielsweise durch die immer häufigere Handyauswertung nach den Vorfällen.“ Denn wie Sengel hinzufügt, fielen unter den Bereich der Sexualdelikte nicht nur direkte „körperliche Vergehen“, sondern auch „oftmals leider sehr unüberlegte Taten, bei denen etwa entsprechende Fotos über Social-Media-Plattformen geteilt oder verbreitet werden.“ Das möge vielleicht harmlos klingen, doch der Polizeidirektor mahnt: „So etwas ist keineswegs ein Dummer-Jungen-Streich, sondern eine schlimme Sache“ – und hier gebe es mittlerweile ein hohes Bestreben, solche Taten auch anzuzeigen, „und zwar völlig zu Recht“, betont der PI-Leiter.
Ebenfalls einen markanten Anstieg verzeichneten die Beamten bei den Rohheitsdelikten, zu denen etwa Körperverletzung, Bedrohung und Nötigung sowie „Straftaten gegen die persönliche Freiheit“ zählen: Waren es 2020 noch 1.602 und 2021 am Tiefststand 1.571, so knackte die Zahl 2022 die 2000er-Marke, nämlich 2.062. Hauptgrund laut Vollmer: „Es gab wieder wesentlich mehr Veranstaltungen als vor Corona“ – und die gingen nicht selten mit mehr Auseinandersetzungen einher.
Der nächste Sprung nach oben bei den Diebstahlsdelikten: Die erreichten zwar nicht den Höchststand von 2015 mit 4.005, lagen mit 3.313 Fällen 2022 aber deutlich über 2.606 in 2021 und der niedrigsten Marke von 2.545 in 2020. Positiv: Während sich die Aufklärungsquote hier seit Jahren um die 35 Prozent bewegte, ist sie 2022 auf 42,29 Prozent gestiegen.
Kein großer Anstieg beim sogenannten Wohnungseinbruchsdiebstahl: Hier wurden im vergangenen Jahr 73 Einbrüche „vollendet“, 53mal blieb es beim Versuch (2021: 50/51 und 2020: 96/70 – und zum Vergleich: 2016 zeigt die Statistik 308 Einbrüche/200 Versuche). „Damit liegen wir 2022 im Soll-Bereich“, so Vollmer. Aber Sengel wagt die Prognose: „Da werden die Zahlen zukünftig wohl wieder hochgehen.“
Nicht nur einen Sprung, sondern einen echten Satz machten die Fallzahlen beim Ladendiebstahl, nämlich von 430 in 2021 auf 745 in 2022. „Glücklicherweise ist die Aufklärungsquote gleichfalls gestiegen (von 86,77 auf 90,87 Prozent)“, so Vollmer. Zugenommen haben auch die Fahrraddiebstähle: Von 274 und 296 Fällen 2020 und 2021 auf 524 im vergangenen Jahr. Und: „Etwa jedes achte Rad, das geklaut wird, ist ein Pedelec beziehungsweise E-Bike“, ergänzt Schulz.
Während das Fazit bei Vermögens- und Fälschungsdelikten mit 2.050 Fällen (2021: 1.940 / 2020: 2.301) „keine Besonderheiten“ lautet, der Bereich Jugendkriminalität unauffällig blieb, und es 2022 ein Tötungsdelikt (die Tat in Bad Fallingbostel, Goethering) gab, nahm die Gewalt gegen Polizeibeamte kräftig zu: „Die Delikte haben sich nahezu verdoppelt“, so Vollmer. In Zahlen heißt das: von 54 Fällen 2021 auf 102 in 2022. Bei der Gewalt gegen Rettungsdienste und Feuerwehr gab es rechnerisch auch eine Verdoppelung, allerdings nur von einem auf zwei Fälle im Vergleich von 2021 auf 2022. Es sei eben ein „schwieriger Spagat zwischen einer offenen und bürgerfreundlichen Polizei – und die wollen wir sein“, so Sengel, „und andererseits einer Polizei, die auch mal hart durchgreifen muss.“ Der PI-Leiter gibt auch zu bedenken, dass die Gewalt gegen Beamte in steigendem Maß einhergeht mit „mehr Alkohol und Drogen bei den Tatverdächtigen – auch das ein landesweiter Trend.“
Einige Zahlen in Bezug auf Straftaten durch Flüchtlinge wollen die Beamten ebenfalls beleuchten: Die seien – logischerweise – abhängig vom gesamten Zustrom und von der Belegung im Ankunftszentrum Oerbke, „die im vergangenen Jahr sehr hoch war, nämlich im Vergleich zu 2021 fast die doppelte Belegung“, gibt Sengel zu bedenken. Die Gesamtzahl der Tatverdächtigen habe laut der Beamten übrigens folgende Situation ergeben: 2022 waren 3.550 deutsch und 1.789 nicht deutsch (2021: 3.549 und 1.483).
In einem Bereich haben sich die Zahlen seit 2017 (339 Fälle) fast verdreifacht: 1.008 Delikte registrierte die Polizei 2022 beim sogenannten Call-Center-Betrug, also Maschen am Telefon wie Schockanrufe und „Enkeltrick“ oder die „Microsoft-Falle“ (2021 waren es insgesamt noch 742 Fälle). „Hier ändern sich Art und Muster ständig“, weiß Vollmer. So sei der „Enkeltrick“ mittlerweile auf dem Rückzug, stattdessen gebe es viel mehr Betrugsversuche per Whats-App. „Die Täter passen sich schnell an“, wissen die Beamten. Auch das gehöre nun zur Normalität – nur eben nach Corona.