Die Rotorgeräusche kündigen ihn bereits von weitem an, der weiße Helikopter mit der Aufschrift „Bundesrepublik Deutschland“ landet am gestrigen Donnerstag in Munster. An Bord: Frank-Walter Steinmeier. In mehr als schwierigen Zeiten mit Kriegen, die Flächenbrände mit dramatischen Folgen, auch für Deutschland, zur Folge haben könnten, stattet der Bundespräsident den Streitkräften am größten Heeresstandort Deutschlands in der Kaserne Panzertruppenschule in Munster einen Besuch ab. Die aktuellen Konflikte in Europa und im Nahen Osten lassen Böses erahnen. Die Einschläge kommen näher. Der Bundespräsident macht sich in einer beunruhigenden Phase im Weltgeschehen in der Örtzestadt ein Bild von der Ausbildung des Führungsnachwuchses der Panzer-, Panzergrenadier- und Heeresaufklärungstruppe. Nicht weniger Interesse zeigt er am Schutz wichtiger Infrastruktur durch die Heimatschutzkräfte in Verantwortung des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr.
Räder rollen, Panzerkettengeräusche und leistungsstarke Motoren sind zu hören. Die Gastgeber präsentieren Steinmeier die Ausbildung des Führungsnachwuchses des Heeres und das gefechtsmäßige Zusammenspiel unter Einsatz von Kampfpanzer Leopard 2, Schützenpanzer Puma und Spähwagen Fennek sowie zwischen Heeresaufklärungstruppe und der Panzer- und Panzergrenadiertruppe. Der Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, Generalleutnant André Bodemann, weist das Staatsoberhaupt in den Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) ein und erörtert die Fähigkeiten zum Schutz „verteidigungswichtiger Infrastruktur“ am Beispiel einer vor Ort aufgestellten Patriot-Einheit. Mit dem Patriot-System zur Abwehr von Flugzeugen, Marschflugkörpern und ballistischen Mittelstreckenraketen unterstützt die Bundesrepublik bekanntlich aktuell die Ukraine im Kampf gegen die Invasion der russischen Streitkräfte.
Wie der Krieg in der Ukraine deutlich macht, so sind Internet, Satelliten und Drohnen längst ein entscheidender, wenn nicht sogar der wichtigste Faktor im Bereich der modernen Kriegsführung. In Konflikten, in denen wie immer tragischerweise Menschen für nichts und wieder nichts sterben, wird längst oft per Mausklick oder Controller über Leben und Tod entschieden. Ist die Bundeswehr im Bereich der digitalen Kriegsführung gut aufgestellt? Ist sie nach Jahrzehnten des Kaputtsparens auch nur ansatzweise für kriegerische Auseinandersetzungen gewappnet?
Der Hunger nach Daten und Informationen ist die eine Sache, im „echten Leben“ aber knurrt dann doch schon mal der Magen. Da geht dann gerade bei der Bundeswehr nichts über die berühmte „Gulaschkanone“. Beim Mittagessen hat der Bundespräsident jedenfalls keine Berührungsängste, tauscht sich bei der Stärkung mit einer kräftigen Suppe mit den Soldatinnen und Soldaten aus und erfährt aus erster Hand, wo denn hier und da der Schuh drückt.
Angesichts der weltpolitischen Entwicklung kann ein bisschen Hilfe „von oben“ sicherlich nicht schaden. Und so ist in Munster der letzte Programmpunkt des Besuchs aus dem Schloss Bellevue ein Feldgottesdienst mit den Soldatinnen und Soldaten. Ob der Bundestagsabgeordnete und SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil, Gastgeber Brigadegeneral Björn F. Schulz oder insbesondere auch der Bundespräsident – allen ist der Ernst der Lage mehr als bewusst. „Seit zwei Jahren führt Russland einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Seit zwei Jahren sterben in der Ukraine Zehntausende von Menschen, Soldatinnen und Soldaten, Zivilisten. Die Infrastruktur großer Teile des Landes ist zerstört“, so Steinmeier.
Wegen der veränderten Weltlage liege der Fokus hierzulande dementsprechend nun wieder auf der Landes- und Bündnisverteidigung. „Wir brauchen eine starke Bundeswehr und gut ausgebildetes Personal“, konstatiert Steinmeier: „Ich konnte mich in Munster davon überzeugen, dass das neueste Material und die neuesten Waffensysteme der Panzertruppenschule hervorragend sind.“
Was soll er auch anderes in die Mikrofone und Kameras sagen? Hinter vorgehaltener Hand hört man von Soldatinnen und Soldaten nach wie vor Klagen über Ausrüstung und Ausstattung. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Bundeswehrangehörige weiterhin mit eigenen finanziellen Mitteln vor Auslandseinsätzen vernünftige Ausrüstung beschaffen. Zeitenwende? 100 Milliarden Euro Sondervermögen? An der „Basis“ ist offensichtlich bislang noch nicht besonders viel angekommen.
Nichtsdestoweniger ist die Motivation in der Truppe durchaus groß. Und so hebt der Bundespräsident bei seinem Besuch auch genau dies hervor. Diese Motivation sei gerade jetzt notwendig „und wird gebraucht, auch von unseren Bündnispartnern.“
In diesem Zusammenhang geht er beim Termin in der Örtzestadt auch auf die Familien ein, die sich in Sachen Lebensmittelpunkt neu orientieren müssen, nämlich wegen einer Verlegung einer Brigade nach Litauen. Zahlreiche der ins Baltikum entsendeten Kräfte seien auch in Munster ausgebildet worden. „Deshalb können wir sicher sein“, so der Bundespräsident, „dass gut ausgebildete Soldatinnen und Soldaten nach Litauen gehen.“
Was die aktuellen Konflikte angehe, so Steinmeier weiter, käme den Heimatschutzregimentern der Bundeswehr eine herausragende Bedeutung zu: „Heimatschutzkräfte sind in der Lage, die Infrastruktur und wichtige Einrichtungen in unserem Land zu schützen.“ Er, Steinmeier, habe in seinen Gesprächen auf dem Truppenübungsplatz gerade auch bei diesen freiwilligen Kräften ein sehr hohes Engagement zur Kenntnis genommen: „Für diese Bereitschaft bin ich dankbar.“
Apropos Bereitschaft: Das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr ist das höchste nationale Kommando für Operationen der Bundeswehr in Deutschland. Seit seiner Aufstellung am 26. September 2022 ist es in Berlin beheimatet und umfasst etwa 550 militärische und circa 250 zivile Dienstposten. Das Kommando befasst sich mit den Kernthemen Heimatschutz, „Host Nation Support“, also der Unterstützung ausländischer Streitkräfte in Deutschland, und nicht zuletzt mit der Bereitstellung von Kräften in einer nationalen Führungsorganisation. Es ist damit verantwortlich für die operative Führung nationaler Kräfte im Heimatschutz – einschließlich der Amts- und Katastrophenhilfe sowie der zivil-militärischen Zusammenarbeit.
Die Themen Heimatschutz und Reserve sind seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Rahmen der territorialen Verteidigung nach Jahren des Schattendaseins wieder in den Vordergrund gerückt. Die Reserve der Bundeswehr und die Heimatschutzkräfte gewinnen damit wieder an entscheidender Bedeutung. Der „Schutz der Heimat“ ist Kernbestandteil der Landes- und Bündnisverteidigung.
Bei dem einen oder der anderen dürfte es durchaus ein Magengrummeln auslösen, dass das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr, bislang eher weniger öffentlich wahrgenommen, nun plötzlich verstärkt in den Fokus genommen wird. Quo vadis.