Eigentlich wollten Adelheid und Wilhelm Nickel aus Munster das bevorstehende Ereignis nicht an die große Glocke hängen, aber da hat ihnen die Familie in bester Absicht einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie schickte eine E-Mail an den Heide-Kurier – und schon war es vorbei mit der „Heimlichtuerei“. Am 27. Februar dieses Jahres werden „Heidi“ und „Willi“ nämlich nach 65 Jahren Ehe im Kreise ihrer Lieben Eiserne Hochzeit feiern. Grund genug für den Verfasser dieser Zeilen, dem Jubiläumspaar einen – selbstverständlich zuvor angekündigten – Besuch abzustatten. Der Empfang ist schon von weitem freundlich: Wilhelm Nickel schaut aus dem geöffneten Fenster im oberen Stockwerk, erspäht den sich zu Fuß nähernden HK-Redakteur und winkt ihn freundlich heran. „Ich mache auf“, ruft der Senior mit kräftiger Stimme – und sogleich summt es an der Eingangstür. Nach einer herzlichen Begrüßung geht es ins Wohnzimmer, wo Ehefrau und Schwiegertochter auf den Besuch aus Soltau warten. Es duftet nach frischem Kaffee und auf dem nett gedeckten Tisch warten liebevoll angerichtete Schnittchen darauf, genossen zu werden.
Schon nach dem Hinsetzen ist klar, dass im Wohnzimmer von Wilhelm und Adelheid nicht „gefremdelt“ wird. Zunächst wird der Gast unter „strenger Auflage“ dazu bewegt, Block und Kugelschreiber erst nach einem Schluck Kaffee und dem Probieren der Schnittchen hervorzuholen. Wer kann dazu schon nein sagen? Das fast im gleichen Atemzug offerierte Gläschen Sekt oder Wein wird natürlich freundlich und dankend abgelehnt, denn Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps – und der Arbeitstag noch lang. Außerdem ist da ja auch noch eine Reihe von Fragen „abzuarbeiten“.
Im Wald kennengelernt
Also los: Wie haben sich die beiden sich kennengelernt? „Im Wald hier in Munster“, antwortet der frühere Soldat wie aus der Pistole geschossen. Seine Frau nickt und lächelt. „Es war ein Sonntag im April. Ich habe mich damals mit einer Freundin im Grünen gesonnt und wir haben Federball gespielt.“
Zwar ist es nicht erstrebenswert, kein Geld in der Tasche zu haben, an diesem Tag aber war das für Wilhem Nickel, geboren in Stolberg im Kreis Aachen und seinerzeit als Soldat in Munster stationiert, glückliche Fügung: „Es gab damals gerade mal 128 D-Mark Sold“, erinnert sich der angehende Jubilar. Weil kostspielige Aktivitäten seinerzeit nicht drin waren, hatten sich er und „ein Kamerad und Kumpel“ zu einem das Portemonnaie schonenden Sonntagsspaziergang entschlossen.
Die beiden Damen im Grünen weckten – das liegt wohl in der Natur der Sache – das Interesse der Vorbeischlendernden. Als Panzergrenadiere gingen die jungen Männer sogleich wagemutig zum Angriff über: „Wir haben gefragt, ob wir beim Federball mitspielen dürfen“, so Wilhelm. Die Frauen und Männer kamen ins Gespräch, das mit einer Verabredung zu einer „Tanz in den Mai“-Veranstaltung im damals noch existierenden Hotel „Lindenkrug“ endete. „Mein Freund und ich sind dann da hin – und es waren statt zwei gleich fünf Mädchen da, die auf uns warteten. Wir haben gefragt, was sie denn trinken möchten“, erinnert sich der 86-Jährige. Die jungen Frauen entschieden sich für „Koks“, Hochprozentigen mit Kaffeebohne. „Wir haben die Damen eingeladen und hatten danach schon wieder keinen Sold übrig“, lacht „Willi“. Hat es da schon gefunkt? „Es hat nicht nur einmal gefunkt“, sagt der Rentner und strahlt über das ganze Gesicht. Seine Frau knufft ihn, nicht minder gut gelaunt, und lacht laut auf. Jedenfalls machten ganz offensichtlich nicht nur die alkoholischen Getränke mit Koffeinnote im „Lindenkrug“ warm ums Herz. Aus dem „Tanz in den Mai“ wurde ein Tanz ins Glück – und so läuteten am 27. Februar 1959 die Hochzeitsglocken.
Kein Geld für einen Anzug
„Wir hatten nicht mal das Geld für einen Anzug“, erinnert sich „Heidi“. Sie wurde im damaligen Landsberg in Ostpreußen geboren. Die Flucht in den Kriegswirren endete in Munster, Arbeit hatte sie in einer Kartonagenfabrik gefunden. Die fehlende „Verpackung“ des Auserwählten indes war kein Drama, denn ihr Zukünftiger machte als Soldat in Uniform eine gute Figur. Und so trug er diese dann auch, als sich die beiden vor sechseinhalb Jahrzehnten im Unteroffiziersheim das Ja-Wort gaben.
Gibt es ein Rezept für eine derart lange Ehe? Wilhelm muss erneut nicht überlegen: „Gutes Essen, gutes Trinken und viel Schlaf“, scherzt er. „Natürlich gab es auch mal Ärger, das ist ja völlig normal“, sagt seine Frau. Kein Verständnis hat sie dafür, dass bei vielen Paaren die Ehen bei ersten Widrigkeiten mir nichts, dir nichts in die Brüche gehen: „Das ist doch schade. Wir haben uns immer zusammengerauft.“
Humor hält jung
Beide sind ein Paradebeispiel dafür, dass Humor jung hält, das Lachen gesund ist. Und das es wichtig ist, aktiv zu bleiben. Wilhelm, der im fröhlichen Gespräch recht schnell zum „Du“ wechselt, ist der Bundeswehr nach seiner dreijährigen Zeit in Uniform treu geblieben und als Zivilangestellter mehr als dreieinhalb Jahrzehnte als Busfahrer für die Truppe in Munster „im Einsatz“ gewesen. Als Rentner saß er weiterhin hinter dem Steuer, um Fahrgäste von A nach B zu bringen. Für verschiedene Firmen aus dem Heidekreis brachte er Reisegäste zum Beispiel bei etlichen Mehrtagesfahrten sicher an ihre jeweiligen Destinationen und zurück – „stets unfallfrei“, wie er betont. Eine Chefin habe großen Wert auf ein seriöses Äußeres – weißes Hemd und Krawatte – gelegt. „Deshalb habe ich jetzt Hunderte Krawatten im Schrank“, flachst der 86-Jährige. Den Personenbeförderungsschein wollte „Willi“ im Alter von 70 Jahren in Rücksprache mit der Familie nicht noch einmal verlängern lassen, irgendwann muss ja auch mal Schluss sein.
„Er fährt immer noch super“
Mit dem Auto ist das Ehepaar aber nach wie vor unterwegs. „Er fährt immer noch super“, lobt die Gattin ihren „Chauffeur“. Der wiederum tritt angesichts des Lobes auf die Bremse: „Meine Frau hat ein Notizbuch im Wagen. Immer wenn ich einen Fehler mache, gibt es einen roten Strich“, schmunzelt der Senior, der das Gespräch immer wieder mit kleinen Gags wie diesem bereichert und sicherlich auch als Komiker hätte Karriere machen können. Busfahrten mit ihm als „Kapitän“ hatten sicher einen hohen Unterhaltungswert. Im Verlauf des Gesprächs präsentiert das Ehepaar das Hochzeitsfoto, das am 27. Februar 1959 entstanden ist. „Ach, was war ich da noch jung. Nicht eine einzige Falte“, sagt Adelheid mit Blick auf die Aufnahme. Dass sie einen Tag vor der Eisernen Hochzeit ihren 86. Geburtstag feiern wird, ist ihr jedoch trotz des einen oder anderen Fältchens nicht im Geringsten anzusehen. Früher waren sie und ihr ebenfalls junggebliebener Mann viel mit dem Wohnwagen unterwegs, erkundeten zum Beispiel Spanien, die Schweiz und den Plattensee in Ungarn. Auch darüber hinaus haben sie keine ruhige Kugel geschoben, ob im Kegelverein oder ehrenamtlich engagiert im DRK-Ortsverein Breloh. Seit 1975 halten sie ihren Schrebergarten in Munster in Schuss. „Das macht mir Spaß. Bei der Gartenarbeit kann ich herrlich entspannen“, schwärmt Adelheid.
„Ein schönes Essen – und fertig“
Humor, Lebenslust, Familie und Freizeitaktivitäten halten ganz offensichtlich jung. Adelheid und Wilhelm haben eine 62-jährige Tochter, einen 64-jährigen Sohn und drei Enkelkinder. In diesem Jahr steht für die Familie ein Feier-Marathon an, denn Enkelsohn und Enkeltochter heiraten, die andere Enkelin ist bereits „unter der Haube“. „Damit haben wir drei Hochzeiten in diesem Jahr“, freut sich Adelheid. Die „Eiserne“ wird im Familien- und Freundeskreis im „Heidkrug“ in Alvern gefeiert, ohne großes Brimborium. „Da gibt es ein schönes Essen – und fertig“, sagt „Heidi“. Sie und ihr Mann freuen sich ganz besonders darüber, an diesem Tag die „verstreute“ Familie an einen Tisch zu bekommen. „Weil es ein Dienstag ist, haben sich alle freigenommen. Das rechnen wir den Kindern hoch an“, betont Adelheid.
Einen Tipp gibt es an dieser Stelle noch für die Vertreter der Kirche und der Stadt, die dem fröhlichen Ehepaar Glückwünsche von „offizieller Seite“ überbringen werden. Sie sollten reichlich Platz im Magen bereithalten, denn Adelheid wird dann wieder mit Schnittchen aufwarten – und die schmecken vorzüglich.