„Nur der Gedanke daran, dass er wiederkommt und ich ihn dann wieder in meine Arme schließen kann, machte es erträglicher. Doch dann kam er plötzlich nicht mehr heim, man bleibt allein zurück. Was haben unsere Soldatinnen und Soldaten durchgemacht, was waren ihre letzten Gedanken? Was hätte ich tun können, warum ist man nur so hilflos, warum waren sie so hilflos ihrem Schicksal ausgeliefert? So viele Fragen“ - diese ergreifenden Worte stammen von einer Frau, die ihren Mann Thomas verloren hat. Er war Hubschrauberpilot bei der Bundeswehr und ist im Auslandseinsatz ums Leben gekommen. Zu lesen sind die Worte auf einem Aufsteller, der derzeit im Soldatenheim „Oase Zum Oertzetal“ die Blicke auf sich zieht. Darauf zu sehen ist ein Bild, das eine Frau gemalt und der trauernden Witwe geschenkt hat. Es zeigt drei Menschen, die Arm in Arm in einer kargen Landschaft stehen und in die Ferne schauen. Am Horizont sind zwei tief fliegende Kampfhubschrauber zu sehen. Es ist ein beeindruckendes Bild, das Betrachten wirkt nach. Um so mehr, da neben dem Aufsteller das Original an der Wand hängt. Und das ist nur ein Exponat der Ausstellung „Bilder der Seele“, die am vergangenen Mittwoch in der „Oase Zum Oertzetal“ in Munster eröffnet worden ist.
Ihr Mann Thomas, schreibt die trauernde Witwe, sei auf der Straße als potenzieller Mörder beschimpft worden: „Er blieb immer ruhig und wir kamen mit den Menschen ins Gespräch. Thomas hatte ein Talent dafür, dem Gegenüber darzulegen, was es bedeutet, bei der Bundeswehr zu dienen. Dafür habe ich ihn immer bewundert – für seine Überzeugung voll und ganz einzustehen.“ Nun müsse sie begreifen, dass er nicht mehr zu seiner Familie zurückkommen werde: „Die Sehnsucht nach Geborgenheit wird bleiben.“
Diese Worte der Trauer machen mehr als deutlich, dass der Verlust eines geliebten Menschen und die teils schrecklichen Erlebnisse in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr bei den Soldatinnen und Soldaten sowie deren Angehörigen tiefe seelische Spuren hinterlassen. Diese Traumatisierung führt oftmals zu seelischen Erkrankungen, unter denen die Betroffenen über viele Jahre hinweg leiden. Um so wichtiger ist es, Betroffenen fachliche Hilfe zukommen zu lassen. Hier kommt die Evangelische Militärseelsorge ins Spiel, die bereits seit 2012 mit ihrem Arbeitsfeld „Seelsorge für unter Einsatz- und Dienstfolgen leidende Menschen“, kurz ASEM, mit zielgerichteten Unterstützungsangeboten aufwartet. Einen Schwerpunkt bei dieser Arbeit bildet ein therapeutsches Angebot, in dessen Rahmen die traumatischen Erlebnisse künstlerisch verarbeitet werden. Das kreative Gestalten ist dabei auch eine Art Türöffner, zumal durch das Malen das Verständnis für die eigene seelische Verwundung gestärkt wird. Die Kunst kann hier eine Brücke bauen und ist nicht nur für die eigene Verarbeitung förderlich. Oftmals können auch Außenstehende durch die entstandenen Arbeiten besser begreifen, was in der Seele der jeweiligen Betroffenen vorgeht.
Eine Auswahl von Bildern und Objekten, die Traumatisierte gemalt beziehungsweise angefertigt haben, wird seit Mittwoch und bis zum 28. Februar im Munsteraner Soldatenheim „Zum Oertzetal“ gezeigt. Initiiert haben die Ausstellung „Bilder der Seele“ das Bundesverteidigungsministerium, die Evangelische Militärseelsorge in der Bundeswehr und die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung in der Bundesrepublik Deutschland (EAS). Der größte Heerestandort Deutschlands ist die erste Station der Wanderausstellung, die danach unter anderem in Fritzlar und Flensburg zu sehen sein wird.
Tote oder verwundete Kameraden, Zerstörung und Verwüstung, notleidende Zivilisten - das, was Soldatinnen und Soldaten im Einsatz erleben, brennt sich in vielen Fällen in das Gedächtnis ein. Es sind Bilder im Kopf, die immer wieder vor dem geistigen Auge auftauchen und den Alltag zur Hölle machen. Betroffene erleben das Grauen, den Horror in Gedanken und Träumen immer wieder. Eine solche verzögerte psychische Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis, wird als Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bezeichnet. Betroffen sind nicht nur Soldatinnen und Soldaten, sondern unter anderem auch Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungssanitäter. Bei der Bundeswehr war das Thema lange Zeit Tabu, mit Beginn der Auslandseinsätze hat sich das indes geändert.
„Für Soldatinnen und Soldaten ist es unverzichtbar, sich mit dem Thema Tod und Verwundung auseinanderzusetzen - und da gehört die Verwundung der Seele hinzu“, erklärte Brigadegeneral und Standortältester Björn F. Schulz bei der Ausstellungseröffnung. Lange Zeit habe der Umgang mit PTBS in den deutschen Streitkräften keine Rolle gespielt: „Es durfte nicht sein, paßte nicht zu der Rolle, wie man sich einen Soldaten vorstellt.“ Andere Nationen, „die viel intensiver in Gefechtssituationen gewesen sind“, seien da schon weiter gewesen. Dies habe sich glücklicherweise geändert. Militärseelsorger hätten mit ihrer Arbeit den Anfang gemacht, heute gebe es „großartige Fachbereiche und Fachabteilungen.“ Inzwischen stünden je Brigade drei Truppenpsychologen zur Verfügung. Es gelte, verstärkt ins Bewusstsein zu rücken, dass es niemandem peinlich sein müsse, sich Hilfe zu suchen. „Sagt es, wenn ein Kamerad deutliche Anzeichen einer PTBS zeigt, damit ihm geholfen werden kann“, appellierte der Standortälteste an die Soldatinnen und Soldaten.
Die Ausstellung „Bilder der Seele“ bezeichnete der Kommandeur der Panzertruppenschule Munster als „großartig“: „Es ist zutiefst beeindruckend, was wir hier zu sehen bekommen.“ Die Ausstellung rege dazu an, sich Gedanken darüber zu machen, was für eine Geschichte sich hinter jedem der Exponate verberge. „Malen ist eine Form, sich auszudrücken und sein Innerstes nach außen zu kehren. Wer malt, lässt seiner Seele freien Lauf“, sagte Schulz. Er hoffe auf zahlreiche Besucherinnen und Besucher, „denn das Thema muss in Breite in die Öffentlichkeit getragen werden.“
„Wir müssen Betroffenen die Hand reichen und ihnen die Möglichkeit geben, sich mit unserer Unterstützung auf den Weg zurück in ein normales Leben zu machen“, erklärte Generalarzt Dr. Ralf Hoffmann, Beauftragter des Bundesministeriums der Verteidigung für einsatzbedingte posttraumatische Belastungsstörungen und Einsatztraumatisierte: „Wir bauen eine Brücke, die genutzt werden kann, um Soldatinnen und Soldaten und ihren Familien zu helfen.“ Malerei und auch Musik seien wichtige Instrumente beim Entwickeln von Bewältigungsstrategien. Wichtig sei es, in den Therapieprozess Partner und Kinder mit einzubeziehen, „denn eine PTBS wirkt sich immer auch massiv im familiären Umfeld aus.“ Derzeit litten etwa 2.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Es ist ein langer Kampf, den Betroffene zu führen haben. In vielen Fällen erstrecke sich die Arbeit zur Bewältigung der Traumata über Jahre, manchmal auch Jahrzehnte, erklärte Pfarrer Christian Fischer, Mitinitiator des Projektes „Seelsorge für unter Einsatz- und Dienstfolgen leidende Menschen“: „Es dauert für uns so lange, wie es eben dauert.“ Viel Zeit und vor allem Herzblut haben die Initiatoren auch in einen Film über die Ausstellung investiert, für den Udo Lindenberg auf Anfrage sein Lied „Kompass“ freigegeben hat - und zwar per E-Mail mit der Anmerkung „Macht mal - no panic“. Fischer präsentierte den Gästen den Film, in dem viele Exponate der Ausstellung zu sehen sind, auf einer großen Leinwand.
„Die Bilder kommen aus tiefster Seele. Sie sind heilsam, sie helfen dabei, gesund zu werden“, betonte der Pfarrer. Dass das nicht von heute auf morgen geschehen kann, sondern „step by step“, verdeutlicht ein Exponat der Ausstellung: Eine blaue Leiter, die Panzergrenadiere im Jahr 2007 in Kabul angefertigt haben. „Sie ist besonders stabil“, sagte Fischer.
Hier geht es zum Film über die Ausstellung „Bilder der Seele“: