Sie haben etwas gemeinsam, die Schafe Erna, Berta und Helma, die Zwergesel Olivia und Tillmann, Wolfshund Tonka und die beiden Ziegen Dr. Jackyll und Mr. Hyde - sie sind nicht nur allesamt vierbeinige Säugetiere, sondern auch tierisch entspannt und „alte Hasen“ in ihrem „Job“. Die Tiere stammen nämlich vom Hof, den Inga Struck und Michaela Dinges in Soltau-Harber führen. Die beiden staatlich anerkannten Erzieherinnen sind jeweils Fachkraft für „Tiergestützte Interventionen“ und haben im Jahr 2017 „respekT!ERt“ ins Leben gerufen, mit dem Ziel, die gutmütigen Tiere des Hofes in der pädagogischen Arbeit mit Menschen aller Altersgruppen einzusetzen. Derzeit ist das aus sechs Kräften bestehende Team verstärkt in der Kooperativen Gesamtschule (KGS) Schneverdingen aktiv. Dort nämlich bietet es seit Beginn des Halbjahres tiergestütztes Sozialtraining für die 5. bis 7. Jahrgangsstufen aller drei Schulzweige an, jeweils montags und dienstags. Und dieser „Unterricht“ kommt bei den Schülerinnen und Schülern bestens an, wie sich am vergangenen Dienstag zeigt.
Als sich der Heide-Kurier vor Ort ein Bild macht, ist gerade die Klasse 5t auf dem Schulhof. Die Tiere warten tiefenentspannt in ihren transportablen Gehegen auf ihren „Arbeitseinsatz“. Die Schülerinnen und Schüler werden zunächst in Gruppen aufgeteilt. Als allererstes einmal gilt es, die Vierbeiner kennenzulernen. Die beiden Zwergesel Olivia und Tillmann werden von den Schülern gestriegelt und genießen die Prozedur sichtlich. Die ersten Berührungsängste sind verflogen - und so bekommen auch die Ziegen und Schafe ihre Streicheleinheiten.
Nachdem das gegenseitige Vertrauen aufgebaut ist, geht es gruppenweise auf zuvor aufgebaute Parcours. Jeweils drei Kinder nehmen einen vierbeinigen Schützling in ihre Mitte. Eines hält die Leine, eines lockt das Tier, die Ziegen zum Beispiel mit einem nach Futter riechenden Ball, ein weiteres übernimmt die Belohnung mit Futter nach jedem gemeisterten Hindernis. Die Mädchen und Jungen müssen hier also eng zusammenarbeiten, um das jeweilige Tier „in der Spur“ zu halten. Andere Schülerinnen und Schüler bringen sich derweil als menschliche Parcours-Elemente ein. Sie bilden mit den Armen eine „Brücke“, unter der das Tier durch muss, oder sie legen sich auf den Boden, so dass die Vierbeiner über sie hinwegsteigen müssen. Nicht nur die Ziegen erweisen sich hier als geduldige und vorsichtige „Arbeitstiere“. Während ihr männlicher „Kollege“ in Harber im Stall die Stellung hält, haben auch die Schafe Erna, Berta und Helma ganz offenbar „Bock“ auf den Parcours. Die Fünftklässler sind derweil begeistert, dass ihre Teamarbeit Früchte trägt. „Sobald die Tiere zum Einsatz kommen, werden die Kinder ruhiger“, berichtet Michaela Dinges. Das sei auch darauf zurückzuführen, dass die Schüler vor Begegnung mit den Tieren die „Drei-L-Regel“ kennenlernen. Sie werden dafür sensibilisiert, „leise“, „langsam“ und „liebevoll“ mit den Tieren umzugehen. Das funktioniert ganz offensichtlich gut. Und wenn es zwischendurch doch mal etwas lauter werden sollte, dann reicht „zur Beruhigung“ laut Dinges ein kurzer Satz: „Denkt an die Regel!“
Der kurzweilige „Unterricht“ für jede der Klassen der drei Jahrgänge steht jeweils einen ganzen Tag auf dem Programm und sorgt so für eine willkommene Abwechslung. Los geht es bereits morgens im Klassenraum, in dem Hahn und Hühner sowie Kaninchen im Mittelpunkt stehen. Nicht zu vergessen Tonka, die wie ein Wolf aussieht und in der KGS bereits bekannt ist, wie ein bunter Hund, zumal sie des öfteren bei Sozialtrainings in der Schule zum Einsatz gekommen ist. Der Vierbeiner wird im Klassenraum in eine Art Spiel eingebunden. Die Schülerinnen und Schüler sitzen im Kreis und halten alle jeweils einen Löffel in der Hand. Mit diesem müssen sie ein „Leckerli“ weiterreichen, ohne das es herunterfällt, so dass Tonka es nicht „schnappen“ kann. Wenn es einmal die Runde gemacht hat, darf die Hündin den „Snack“ genussvoll vertilgen. „Da sitzen dann auch Schülerinnen und Schüler dicht beieinander, die es sonst eher nicht tun“, sagt Jan Struck, Sozialarbeiter der KGS.
Die lange Corona-Phase mit Distanz- und Wechselunterricht hat den Schulalltag doch gehörig durcheinandergewirbelt, zum „Wir-Gefühl“ beitragende Veranstaltungen und Aktionen waren über weite Strecken gestrichen. „Schüler haben nicht mehr zusammengearbeitet. Der richtige Umgang miteinander ist ein Stück weit verloren gegangen. Es geht darum, dass sie wieder verinnerlichen, füreinander da zu sein, die Stärken und Schwächen des oder der anderen zu erkennen und darauf wieder einzugehen. Lehrer berichten, dass all dies in der Corona-Zeit auf der Strecke geblieben ist“, so Michaela Dinges.
Grund genug für die KGS Schneverdingen mit einem Maßnahmenpaket und verschiedenen Projekten gegenzusteuern. „Unser Ziel ist es, das Gemeinschaftsgefühl in den Klassen der KGS nach den Zeiten von Wechsel- und Distanzunterricht durch verschiedene Aktionen wieder zu stärken“, unterstreicht Schulleiter Mani Taghi-Khani.
Das tiergestützte Sozialtraining, das mit Mitteln aus dem Förderprogramm „Startklar in die Zukunft“ des Landes Niedersachsen gefördert wird, ist dabei also nur ein Baustein von vielen. So wird es im Oktober eine klassenbezogene Projektwoche zu verschiedenen Oberthemen für die einzelnen Jahrgänge geben, darüber hinaus stehen zu Beginn des neuen Schuljahres im 5. Jahrgang verschiedene Klassenbildungsmaßnahmen auf dem Plan: Neben Sozialtagen zu Beginn des Schuljahres ist in Kooperation mit den Landfrauen unter dem Motto „Kochen mit Kindern“ ein ganztägiger Workshop zum Thema „Gesunde Ernährung“ für jede Klasse vorgesehen. Darüber hinaus wird jede Klasse des 5. Jahrgangs im Rahmen des Biologieunterrichts einen Tag im Wildpark Lüneburger Heide verbringen. Im September wird der bekannte deutsche Tänzer, Choreograf und Fitnesstrainer Detlef Soost die KGS besuchen, um für alle Schülerinnen und Schülern des 7. Jahrgangs einen ganztägigen Tanzworkshop zu leiten. In Kooperation mit der Adalbart-Zajadac-Stiftung aus Neu Wulmstorf wird die KGS außerdem als Pilotschule das Projekt „Sei Stiftung für einen Tag“ realisieren.
Derzeit aber steht das tiergestützte Sozialtraining im Mittelpunkt. Nachdem alle Gruppen der 5t mit den Tieren die Parcours gemeistert haben, versammelt sich die Klasse zur „Manöverkritik“. Vom „respekT!ERt“-Team gibt es jede Menge Lob. Alle hätten sich „toll abgesprochen“ und „gut aufeinander geachtet.“
Eine Schülerin räumt ein, dass sie durchaus ein wenig Angst gehabt habe, ein Tier dieser Größenordnung über sich hinweglaufen zu lassen. Nun sei sie froh, diese Angst überwunden zu haben: „Das war toll“, sagt sie und wird von den Mitschülerinnen und Mitschülern mit Applaus belohnt. „Du kannst stolz auf Dich sein“, ruft jemand in die Runde. Wie auf Kommando blökt Schaf Erna, scheint so Zustimmung zu signalisieren. „Diese Klasse hat die Corona-Zeit noch an der Grundschule erlebt. Vieles konnte nicht gemacht werden“, so Klassenlehrerin Simona Korn: „Deshalb ist es schön, dass die KGS den Schülerinnen und Schülern so ein tolles Angebot macht. Es hat allen Spaß gemacht.“
Nachdem die Tiere in die Pferdeanhänger gebracht worden sind, helfen die Fünftklässler bereitwillig beim Abbau der Gehegezäune. Ein schönes Bild, zeigt es doch sinnbildlich, dass auch an diesem Tag wieder Barrieren abgebaut worden sind.