Selbst wer sich nicht mehr an das „Archimedische Prinzip“ aus dem Physikunterricht erinnert, sich weder mit Hydro-dynamik, Strömungslehre oder Auftrieb auskennt, der könnte meinen, diese Gruppe ist auf dem Holzweg - oder besser: auf dem „Betonweg“. Denn genau aus diesem Material bauen aktuell einige Schüler der Berufsbildenden Schulen (BBS) Soltau ein Kanu. Und das nicht zum Spaß, sondern für einen Wettbewerb: Die Schüler wollen mit ihrem Boot in Heilbronn bei der Beton-kanu-Regatta starten. Gepaddelt wird am 28. und 29. Juni auf dem Neckar. Und damit die Konstruktion dort mit der Konkurrenz mitschwimmen kann und die Schüler gleichzeitig viel lernen, unterstützen auch die Lehrer das Projekt tatkräftig.
Udo Sobczak hat bereits etliche Bauprojekte mit seinen Schülerjahrgängen umgesetzt, unter anderem für das „Waldpädagogikzentrum Ostheide - Haus Oerrel“. Das hieß 2004 noch Jugendwaldheim, und genau dort entstand mit seiner damaligen -Klasse schon einmal ein Boot. Die „Arche- Oerrel“. Die sollte allerdings nie ins Wasser, sondern dieses bei Regen abhalten: Die angehenden Zimmerleute konstruierten das Schiff als originell gestaltete Grillhütte.
Der Witz daran: Während jenes Boot auf dem Trockenen aus Holz war, ist das neue aus Beton und dabei ein echtes Wasserfahrzeug. „Die Idee kam uns bei einem Besuch in Köln, wo damals gerade die 16. Betonkanu-Regatta lief. Da dachten wir gleich: Das wäre sicher ein spannendes Praxis-Projekt für die Schule“, erklärt Sobczak. Der holte sogleich seine Lehrerkollegen, darunter auch seine Frau Antje Sobczak sowie Uwe Böhling, Joachim Unger und Andreas Wagner-Wischhoff, im wahrsten Sinne „mit ins Boot“ und entwarf ein Konzept für das fachübergreifende Vorhaben. Die Nachwuchszimmerer und -maurer der Berufsfachschule Bautechnik mußten die Lehrkräfte nicht lang bitten: „Alle Schüler sind mit Begeisterung dabei“, freut sich Sobczak.
Er hat solche Aktionen stets vorangetrieben - quasi als „Krönung“ des Unterrichts: „Projekte sind die Stärke der baufachlichen Ausbildung an den BBS Soltau. Die ganzheitliche Erstellung eines solchen Objektes ist als abschließende Arbeit ein wesentlicher Bestandteil des Lehrplanes. Hier können die Auszubildenden den Erwerb ihrer Fähig- und Fertigkeiten unter Beweis stellen“, so der Lehrer. Sobczak sieht bei der jetzigen, eher ungewöhnlichen Aktion einen weiteren Aspekt in der Zusammenarbeit mehrerer Gewerke, die dabei gleichzeitig Spezialaufgaben umsetzen sollen: „Während in den vergangenen Jahren vornehmlich die Berufsfachschule durchgängig an der Realisierung derartiger Bauvorhaben gearbeitet hat, schließt das Projekt ‚Betonkanu‘ alle drei Jahrgänge mit ein: Das Grundstufe der Berufsfachschule Bautechnik übernimmt für den Auftritt bei der Regatta die Erstellung eines Präsentationspavillons in Kantholzbauweise, die Zimmerer-Mittelstufe baut eine Holzschalung für den Bootsbau, und die Maurer-Oberstufe ist für die Erarbeitung einer Spezialbetonzusammensetzung und das Betonieren des Kanus zuständig.“
Die Zimmerer-Mittelstufe entschied sich für die Bootsgeometrie eines bekannten und bewährten Modells: eines sogenannten Wanderkanadiers. „Dessen Form haben sie abgegriffen und eine Holzschalung aus außenliegenden Spanten und formgebenden Leisten gebaut“, erläutert Sobczak. Die Maurer-Oberstufe experimentierte derweil mit einem Spezialbeton, der sich mit dem Bewehrungsgewebe verbindet und zugleich biegefest sowie natürlich wasserundurchlässig ist. „Die Herausforderung bestand auch darin, eine angestrebte Wandstärke von 1,5 Zentimetern nicht zu überschreiten. Gerade in dieser Phase haben ortsansässige Firmen uns unterstützt“, hebt Sobczak hervor. So habe die Gruppe bei ersten Versuchen unter anderem Gewebe der Filz-Experten des Soltauer Unternehmens Röders ausprobiert, erklärt der Lehrer: „Das hat aber nur bedingt funktioniert. Schade, denn wir hätten schon -einen passenden Namen für eine mögliche Filz-Beton-Kombination erdacht: ‚Felton‘.“
Damit ein Kanu aus einem Material hart wie Stein im Wasser nicht sinkt wie ein Stein, sind die Anforderungen für die Teilnahme an der Regatta entsprechend definiert: Die Boote müssen mit Schwimmkörpern versehen sein und sich, sollten sie kentern, an der Oberfläche halten, damit die Veranstalter sie am Ende nicht vom Grund des Flusses fischen müssen. „Wir wollen hierfür Schaumkörper aus einer Art Styropor verwenden“, so der Projektleiter. Das BBS-Kanu besteht aus zwei Hälften, die miteinander verschraubt werden. Wenn alles fertig ist, soll es zum einem Testlauf an den Brunausee gehen, bevor die Gruppe Richtung Heilbronn startet.
Dort wartet bei der alle zwei Jahre von der deutschen Zement- und Betonindustrie veranstalteten Betonkanu-Regatta harte Konkurrenz: „Hauptsächlich treten dabei Teams von Universitäten und Fachhochschulen an. Die Soltauer werden eine der ganz wenigen Berufsschulmannschaften stellen - eine große Herausforderung mit der Hoffnung, mit handwerklichen Fähigkeiten den Technologievorsprung der Studenten ausgleichen zu können“, hofft Sobczak. Siegchancen malen sich die BBS-Schüler jedoch nicht aus, und der Lehrer macht dabei auch gleich deutlich, wie groß der Vorsprung anderer Teams ist: „Unser Kanu wird etwa 200 Kilogramm wiegen - das leichteste Boot vor zwei Jahren in Köln wog gerade einmal elf Kilo und hatte spezielle Glaskugeln als Hohlkörper eingearbeitet.“ Aber es zählt nicht allein der sportliche Wettkampf mit einer Kombination aus gerader Rennstrecke (Hinweg) und Slalomkurs (Rückweg), sondern es werden zudem Auszeichnungen vergeben für Konstruktion und Gestaltung - sowie ein „Pechpreis“ als Trost für die am meisten vom Pech verfolgte Mannschaft. Aber soweit muß es ja nicht kommen. Und allein die Motivation, an dem Projekt teilzunehmen und eine solche Herausforderung zu meistern, gibt den Schülern reichlich Auftrieb.