Während der Laie beim Zuschauen kaum ausmachen kann, wo die Wolle aufhört und die Schnucke anfängt, arbeitet sich der Scherer präzise entlang dieser Linie durch die üppige Haarpracht. Und das blitzschnell: „Pro Schnucke dauert es zwischen anderthalb und zwei Minuten“, erklärt Silvio Schönefeld. Er ist Schäfer beim Verein Naturschutzpark (VNP) und zusammen mit seinem Team für die Heidschnuckenherde im Grasengrund nahe Soltau verantwortlich. Dort ging es in der vergangenen Woche knapp 500 Tieren „an den Kragen“.
Der Termin bei der Herde im Stall zwischen Deimern und Scharrl bildete den Abschluss der „Friseurwoche“ beim Verein Naturschutzpark und seiner VNP-Stiftung Naturschutzpark Lüneburger Heide. „Fünf professionelle Scherer, begleitet von zwei sogenannten Reinsetzern, waren in den von Dienstag bis Freitag bei allen Herden des VNP im Einsatz“, erklärt Schönefeld. Somit war es für die insgesamt rund 2.500 Heidschnucken der Stiftung Naturschutzpark Lüneburger Heide der vermutlich aufregendste Tag des Jahres: Unter viel Gedränge und Geblöke geht es den Vierbeinern auf der sogenannten „Scherstraße“ wie in jedem Frühjahr „an die Wolle“. Die Prozedur, in der jedes einzelne Schaf gegriffen, auf den „Hintern gesetzt“ und aus seinem Wollvlies „geschält“ wird, läuft unter den geschickten Händen der Scherer im Minutentakt. Die „Haarpracht“ wird anschließend in große Säcke gepackt: „Knapp 50 Säcke werden es wohl bei unserer Herde werden“, schätzt Schönefeld. Die Wolle werde anschließend zur Weiterverarbeitung gegeben, so der Schäfer, „daraus werden dann beispielsweise Filz-Sitzkissen.“
Bis es jetzt hieß „Wolle ab“ konnte diese ein Jahr lang wachsen: „Pro Monat um rund einen Zentimeter“, so Schönefeld. Dementsprechend lang war das „Winterfell“ der Tiere, die kahl fast nur noch die Hälfte ihre „Volumens“ zu haben scheinen. Die ersten Tage nach der Schafschur sind die „nackten“ Schnucken dann übrigens besonders empfindlich. Ist es kalt oder regnerisch, drohen Lungenentzündungen. Bei zu viel Sonne besteht die Gefahr von Verbrennungen. Allgemein bekannt ist übrigens die „Schafskälte“: Zwischen dem 4. und 20. Juni gibt es in Mitteleuropa oft einen Kälteeinbruch, der sich vor allem in Deutschland auswirkt. Die Schafskälte tritt allerdings nicht jedes Jahr auf – und auch dieses Jahr ist es aktuell durchaus sehr warm. Doch wenn kühle und feuchte Luft aus dem Nordwesten einströmt, sinkt die Temperatur um fünf bis zehn Grad Celsius. Den Namen trägt diese Wetterlage nach den Schafen, die traditionell bis dahin bereits geschoren wurden und für die der Kälteeinbruch dann durchaus bedrohlich werden kann.
Die Heidschnucken sind übrigens wichtige Helfer für den Verein Naturschutzpark und die VNP-Stiftung beim Erhalt der einmaligen Kulturlandschaft rund um den Wilseder Berg. Der VNP, der als private Organisation seit 1909 die Heide- und Waldlandschaft im 23.500 Hektar großen Naturschutzgebiet Lüneburger Heide zwischen Hanstedt, Egestorf, Bispingen, Schneverdingen und Handeloh erhält, ist besonders auf die Hilfe seiner sechs eigenen Heidschnucken-Herden und seiner Ziegenherde angewiesen.
Hier noch ein Video von der Schnuckenschur: