Legalisierung von Cannabis im Fokus

Leiterin einer Soltauer Selbsthilfegruppe zu Plänen der Ampel-Koalition

Legalisierung von Cannabis im Fokus

Es gibt derzeit Themen, die den Deutschen weitaus mehr auf den Nägeln brennen als die Legalisierung von Cannabis, die die Bundesregierung bereits seit längerem auf der Agenda hat. Dennoch macht die Ampel-Koalition - wie bei der geplanten Einführung des umstrittenen Bürgergeldes - auch bei diesem Vorhaben Dampf. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat dem Kabinett kürzlich erste Eckpunkte vorgelegt. „Die Drogenpolitik muss erneuert werden. Wir wollen den Cannabis-Konsum unter Gesundheitsaspekten reformieren“, unterstrich der Politiker bei der Vorstellung des Papiers, das das Bundeskabinett inzwischen durchgewunken hat. Die Einführung einer kontrollierten Abgabe von „Genusscannabis“ an Erwachsene verfolge das Ziel, „zu einem verbesserten Jugendschutz und Gesundheitsschutz für Konsumentinnen und Konsumenten sowie zur Eindämmung des Schwarzmarktes beizutragen.“ Die Opposition ist von den Plänen der Bundesregierung, wie auch beim Bürgergeld, alles andere als begeistert. Auch von anderen Seiten gibt es kritische Stimmen. Mit gemischten Gefühlen und einigen Bedenken sieht Silke Meyer einer möglichen Legalisierung entgegen. Sie leitet in Soltau die Selbsthilfegruppe „Nicht allein“, in der sich an Angehörige und Partner von drogengefährdeten und -abhängigen Jugendlichen und Erwachsenen, aber auch Betroffene selbst, austauschen können. Auch in dieser Gruppe werde das Thema, so Meyer, durchaus kontrovers diskutiert.

Doch worum geht es überhaupt im vom Lauterbach vorgelegten Eckpunktepapier der Ampel-Koalition? Im Zuge der geplanten gesetzlichen Regelungen zur Cannabis-Legalisierung sollen Cannabis und Tetrahydrocannabinol (THC) künftig rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft werden. Angedacht ist, die Produktion, die Lieferung und den Vertrieb innerhalb eines lizenzierten und staatlich kontrollierten Rahmens zuzulassen. Der Erwerb und der Besitz bis zu einer Höchstmenge von 20 bis 30 Gramm „Genusscannabis“ zum Eigenkonsum im privaten und öffentlichen Raum sollen straffrei ermöglicht werden. Ferner sieht der Vorstoß der Regierung vor, privaten Eigenanbau in begrenztem Umfang zu erlauben. „Laufende Ermittlungs- und Strafverfahren sollen zu dann nicht mehr strafbaren Handlungen beendet werden“, heißt es im Eckpunktepapier. Der Hintergrund: Die Ampel-Koalition will damit Polizei und Gerichte entlasten.

Laut Eckpapier dürfe der Vertrieb mit Alterskontrolle in lizenzierten Fachgeschäften und gegebenenfalls Apotheken erfolgen. Werbung für Cannabisprodukte werde nicht erlaubt. Zudem werde es Vorgaben geben, um die Qualität und Reinheit sicherzustellen. Als Mindestaltersgrenze für Verkauf und Erwerb werde die Vollendung des 18. Lebensjahres festgelegt, gegebenenfalls mit einer Obergrenze für den THC-Gehalt bis zum 21. Lebensjahr. Außerdem sei die Einführung einer besonderen Verbrauchssteuer („Cannabissteuer“) vorgesehen. Weiterhin solle „cannabisbezogene Aufklärungs- und Präventionsarbeit weiterentwickelt“ werden, ebenso „zielgruppenspezifische Beratungs- und Behandlungsangebote.“

Silke Meyer, Leiterin der Selbsthilfegruppe „Nicht allein“, hat sich in die Eckpunkte der Ampel-Koalition eingelesen, um absehen zu können, was da auf Suchtberatungsstellen und Selbsthilfegruppen zukommen könnte. Sie gibt zu bedenken, dass nicht erst junge Erwachsene zur „Tüte“ greifen. Aus der Arbeit in der Selbsthilfegruppe weiß sie, „dass viele bereits im Alter zwischen 13 und 15 Jahren mit dem Kiffen anfangen.“ Und das seien nicht nur Kinder und Jugendliche aus „Problemfamilien“, das ziehe sich durch alle Gesellschaftsschichten. „In der Regel ist es nicht so, dass Eltern Schuld daran sind, dass ihre Kinder Drogen nehmen“, erklärt Meyer. Oft seien es Neugier oder auch Gruppenzwang, die dazu führten, dass Minderjährige zum Joint griffen. Aber ganz besonders in jungen Jahren, im Wachstum, sei der Konsum problematisch, könne doch zum Beispiel das Kurzzeitgedächtnis Schaden nehmen. „Und das wird sich auch durch eine Legalisierung nicht ändern. Außerdem werden sich Jugendliche nicht vorschreiben lassen, welches Cannabis in welcher Stärke sie konsumieren.“ In den vergangenen Jahren sei der Wirkstoffgehalt bei hochgezüchteten Pflanzen um ein Vielfaches gestiegen. „Da kommt die Wirkung dann schon an LSD heran, es können Psychosen hervorgerufen werden“, warnt Meyer.

Das Ziel der Cannabis-Legalisierung, Polizei und Justiz zu entlasten, könne sie durchaus nachvollziehen, betont die Leiterin der Selbsthilfegruppe. Andererseits: „Der Dealer hat meistens nicht nur eine Droge.“ Und was die Konsumenten angehe, so begrüße sie persönlich die Intention, „dass nicht jeder Kiffer gleich vorbestraft ist.“ Es stelle sich jedoch die Frage, ob eine Entkriminalisierung des Cannabis-Konsums nicht letztlich mehr Menschen dazu anregen werde, „es selbst mal auszuprobieren.“ Sollte es zu einer Legalisierung kommen, dann müssten sich Selbsthilfegruppen schnellstmöglich darauf einstellen, dass es mehr besorgte Eltern und Hilfesuchende geben könnte. Auch im Bereich der Therapie müsse es mehr Kapazitäten geben. „Die Kliniken sind jetzt schon voll, es gibt keine Plätze“, betont Meyer: „Und Therapeuten sind bereits überlastet, wie sich gerade bei der durch die Corona-Pandemie gestiegen Zahl von unter Depressionen leidenden Menschen zeigt. Da gibt es einen Mangel - und das ist ganz schön übel.“

In Gesprächen in ihrer Gruppe hat die Leiterin die Erfahrung gemacht, dass es auch unter den Betroffenen Befürworter und Gegner des Vorhabens der Ampel-Koalition gibt. Vom jungen Mann, der das Ganze begrüße - bis hin zur Frau, die als Mutter eines Kindes strikt gegen eine Legalisierung sei, gebe es konträre Auffassungen. Grundsätzlich sollten sich Eltern und Angehörige von Süchtigen „trauen, sich Hilfe zu suchen“, so Meyer, denn: „Es ist eine Erleichterung, wenn man mit jemandem sprechen kann, der weiß, wie das so alles ist und wenn man die Erfahrung macht, dass man sich nicht vor Scham verstecken muss.“

Generell kritisiert Meyer, dass sich die Regierung mit dem Thema Cannabis-Konsum befasst, das Thema Alkohol indes stiefmütterlich behandelt werde: „Darüber müssten wir uns auch Gedanken machen, das müsste viel mehr in den Fokus genommen werden.“ Zu erreichen ist die Selbsthilfegruppe „Nicht allein“, die sich an jedem dritten Dienstag im Monat in den Räumen in der Bahnhofstraße 15 in Soltau trifft, unter Ruf 0176-56862877 sowie per E-Mail unter der Adresse mehrleben7@gmail.com.

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