Wer über die Schwelle der Soltauer Teestube tritt, ist in der Regel selten frei von Sorgen. Denn die Räumlichkeiten in der Poststraße 15b sind eine etablierte Anlaufstelle für Suchtkranke und Menschen mit psychischen Erkrankungen sowie deren Angehörige, zudem haben hier zahlreiche Selbsthilfegruppen ihren festen Platz. Besucherinnen und Besucher kommen also mit verschiedensten Problemen, von denen Silke Meyer, die sich seit einigen Monaten in der Einrichtung engagiert, schon einige miterlebt und begleitet hat. Eines sei zwar noch nicht an sie herangetragen worden, doch Gedanken darüber habe sie sich schon gemacht, erklärt Meyer: „Was mache ich eigentlich, wenn mal ein Fall von häuslicher Gewalt in die Teestube getragen werden sollte?“ Diese Frage beschäftigte sie so intensiv, dass sich Meyer schließlich zusammen mit Sabine McArthur vom Teestuben-Beirat dazu einschlossen hat, eine Informationsveranstaltung rund um dieses schwierige Thema auf die Beine zu stellen. Hierfür konnten die beiden Initiatorinnen den Weißen Ring und die Polizeiinspektion Heidekreis sowie den Walsroder Verein Frauen helfen Frauen gewinnen. Vertreterinnen und Vertreter dieser Institutionen klären am kommenden Montag, 6. Mai, ab 19 Uhr in der Soltauer Bibliothek Waldmühle über häusliche Gewalt und Femizid auf, informieren zudem über Möglichkeiten, was man tun und an wen man sich wenden kann.
„Nach dem Kontakt mit Wolfgang Baron vom Weißen Ring wurden die Planungen immer konkreter“, blickt Meyer auf die Vorbereitungsphase für die Informationsveranstaltung zurück. „Schließlich wurde klar, dass wir einen größeren Raum brauchen – und so laden wir nun in die Waldmühle ein.“ In der Bibliothek der Böhmestadt steht am morgigen Montagabend eine Repräsentantin von Frauen helfen Frauen zur Beantwortung von Fragen bereit, vor Ort sein wird zudem Christiane Rebhan von der Polizeiinspektion Heidekreis, dort Ansprechpartnerin bei häuslicher Gewalt.
Ebenfalls mit dabei: Wolfgang Baron, der im Heidekreis die bundesweit tätige Opferhilfeorganisation vertritt. Der Dorfmarker ist nach 45 Jahren bei der Polizei mittlerweile im Ruhestand und seit nunmehr vier Jahren für den Weißen Ring als Außenstellenleiter aktiv. In dieser Funktion, aber auch in seiner langen Zeit als Ermittler hat er viel erlebt und weiß: „Man blickt da oft in schlimme Abgründe“, so der frühere Polizist. „Egal, ob es denjenigen selbst oder einen Angehörigen getroffen hat – ich habe immer wieder erlebt, was Gewalt mit Menschen machen kann.“ Solche meist traumatischen Erfahrungen hinterließen Spuren, „und viele brauchen dann einfach schnelle und unkomplizierte Hilfe.“
Wer einer Straftat zum Opfer gefallen ist oder Kriminalität und Gewalt im persönlichen Umfeld erfährt, findet beim Weißen Ring eine Ansprechperson, die helfen und vermitteln kann: „Alles läuft kostenfrei und bleibt anonym. Schon beim ersten Kontakt lässt sich meist schnell klären, ob wir im konkreten Fall etwas tun können“, so Baron. Er weiß, dass gerade häusliche Gewalt und vor allem damit verbundene Sexualdelikte tiefe Narben hinterlassen können: „Danach gehen für die Opfer plötzlich ‚alle Uhren anders‘ und Sichergeglaubtes ist für sie nicht mehr, wie es einmal war. Für viele bricht einfach eine Welt zusammen.“
Doch zahlreiche Opfer häuslicher Gewalt gingen danach nicht zur Polizei, blieben dennoch bei ihrem Partner, meint Meyer: „Es gibt Frauen, die verprügelt werden, aber nichts unternehmen, weil sie glauben, danach nichts und niemanden mehr zu haben. Also folgt keine Anzeige, denn sie ziehen aus Angst zurück.“ Genau hier wolle Baron ansetzen: „Es gilt dann, aufzuklären, wie Betroffene aus solchen Situationen herauskommen können. Wir wollen beim Info-Abend Möglichkeiten vorstellen und Optionen aufzeigen, wie Polizei und Weißer Ring handeln und helfen können“, so der hiesige Außenstellenleiter der Opferhilfe.
Deren Vertreter können zuhören und beraten sowie Kontakt zu entsprechenden Stellen herstellen, aber bei Gewalttaten nicht direkt eingreifen: „Wenn es ‚knallt‘, kommt nicht der Weiße Ring, sondern die Polizei“, hebt Baron hervor. Denn die Opferhilfeorganisation habe natürlich keine Befugnisse dieser Art: „Wir können Wege und Optionen aufzeigen, Mittel für eine juristische Erstberatung bereitstellen – doch in vielen Fällen raten wir den Betroffenen dann eben auch, die Polizei zu rufen, aufzustehen und sich die Lage nicht mehr gefallen zu lassen“, so Baron. Seiner Erfahrung nach gehe es oft darum, als Lotse zu fungieren und die Opfer zu fragen: „Wollen Sie für immer so weiterleben, und haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Ihre Situation zu ändern?“
Es solle bei der Veranstaltung aber ebenso um Prävention gehen, betont Meyer: „Wir wollen verhindern, dass es im schlimmsten Fall vielleicht sogar zum Femizid kommt.“ Aber es müsse gar nicht um solche dramatischen Ereignisse gehen, vielmehr sei der Informationsabend eine offene Veranstaltung für alle Anliegen.
Denn der Weiße Ring kann auch in Fällen von Cybermobbing oder Stalking der passende Ansprechpartner sein. Gerade Stalking sei laut Baron manchmal eine unterschätzte Form der Gewalt: „Da werden Menschen auf lange Sicht wirklich gebrochen.“
Meyer möchte Mut machen, sich am 6. Mai in der Waldmühle entsprechende Hilfe und Beratung zu holen: „Ob selbst betroffen oder um sich einfach nur zu informieren – alle dürfen teilnehmen und niemand soll denken, aus Scham oder Angst mit einer ‚Tarnkappe‘ zu der Veranstaltung kommen zu müssen“, lädt die Initiatorin ein. „Denn die Bibliothek soll hierbei ein sicherer Raum für Besucherinnen und Besucher sein: Alle Gäste sollen sich geborgen fühlen.“