„Opfer aus den Krankenakten rausholen“ | Aktuelle Nachrichten und Informationen

Dr. Carola S. Rudnick referiert auf Einladung der Lebenshilfe Soltau in der Filzwelt Felto zum Thema „Euthanasie“-Verbrechen

„Opfer aus den Krankenakten rausholen“

Mindestens 62 Menschen aus dem Heidekreis wurden Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen. Ihre Angehörigen, so erläuterte Dr. Carola S. Rudnick am vergangenen Donnerstagabend, „wissen zum Teil bis heute nicht, was mit ihren Familienmitgliedern wirklich passiert ist.“ Und auch die wissenschaftliche und pädagogische Leiterin der „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg kenne nicht „die ganze Wahrheit“. Rudnick sprach auf Einladung der Lebenshilfe Soltau vor mehr als 50 Zuhörerinnen und Zuhörern in der Filzwelt Felto in der Böhmestadt zum Thema „Lebendiges Erinnern – Opfer von Sterilisation und Krankenmord aus der eigenen Nachbarschaft“.

Den Abend eröffnete Mathias Ernst von der Stiftung Spiel und dem Spielmuseum sowie der Filzwelt Felto. In seiner bewegenden Einführung appellierte er: „Es ist unsere Aufgabe, dass so etwas nie wieder zugelassen wird!“

Gerhard Suder, Geschäftsführer und Vorstand der Lebenshilfe Soltau, begrüßte die Gäste mit den Worten „Liebe Mitmenschen“ – und rief dazu auf, sich eben auf diese Mitmenschlichkeit zu besinnen. Anschließend kündigte er den Vortrag von Rudnick an – einen „möglicherweise auch emotional berührenden Vortrag.“ Er sollte recht behalten: Nach einer allgemeinen Einführung zu den Verbrechen der NS-„Euthanasie“ und den besonderen Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung berichtete Rudnick von dem Soltauer Rudolf Hagedorn. Über sein Schicksal ist dank dessen Schwester Ingrid inzwischen weit mehr bekannt, als in den Krankenakten verzeichnet. Was mit ihm geschah, ist in der digitalen Ausstellungen der „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg unter https://geschichte-raum-geben.de/rudolf-hagedorn/ nachzulesen.

Für sechs weitere Opfer aus Soltau gilt dies nicht. Ihre Namen: Horst Lehmkuhl (5.3.1940 - 3.11.1942), Erika Heuer (15.1.1941 - 5.9.1942), Harald Frandsen (18.12.1926 - 30.1.1944), Marie Behr (13.12.1906 - 12.05.1941), Wilhelmine Reiners (25.5.1875 - 25.9.1943) und Walter Buddrich (26.04.1922 - 21.05.1941). Auch über viele weitere Opfer aus dem Heidekreis ist nur wenig bekannt. Sie starben im Kindesalter oder als Erwachsene. Sie verhungerten, starben an mangelnder Versorgung, wurden im Rahmen der „Aktion T4“ mit Kohlenmonoxid in Tötungsanstalten ermordet. Weil sie anders waren. Weil sie im Sinne der NS-Ideologie „nicht nützlich“ waren.

Rudnick möchte die Opfer mit ihrer Arbeit „rausholen aus den Krankenakten.“ Denn ihre Erfahrung zeigt, dass die Familien der Opfer vielfach bis heute nur ahnen, was mit ihren Familienmitgliedern geschehen sein könnte. Sie möchte ihre Fragen beantworten und sie so dabei unterstützen, Frieden zu finden.

Angehörige der genannten Opfer können sich daher ebenso an Rudnick wenden, wie alle Menschen, die ahnen oder befürchten, dass Ihre Familienmitglieder aus dem Heidekreis im Rahmen der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen ermordet wurden.

Das Team der „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg ist in der Regel montags bis freitags von 8 bis 14 Uhr unter Ruf (04131) 6020970 oder per E-Mail an info@gedenkstaette-lueneburg.de erreichbar.