Kundgebungen gab es auch in diesem Jahr anlässlich des Tages der Arbeit am 1. Mai in Soltau und Schneverdingen. In der Böhmestadt hatte der Kreisverband Heidekreis des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zur Gedenkveranstaltung und Kundgebung eingeladen, in Schneverdingen war einmal mehr der SPD-Ortsverein Veranstalter.
DGB-Kreisvorsitzender Heinz-Dieter „Charly“ Braun begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Soltau und ging in seiner Rede auf die Geschichte der Kundgebung in der Böhmestadt ein. Unter anderem erinnerte er „an die Störung durch 20 Neonazis“ und den seinerzeit nicht gelungenen Versuch von außen, die Foto-Session der Gewerkschafter zum 1. Mai in der Coronazeit als Ordnungswidrigkeit ahnden zu lassen.
„Wir sind wieder da“, erklärte Braun. Unter der Erinnerungstafel an den 1933 von Nationalsozialisten begangenen Überfall auf das genossenschaftliche „Volkshaus“ der Soltauer Arbeitervereine berichtete Willi Schwethelm über die „Gleichschaltung“ der Gewerkschaften 1933. Reichsweit seien damals nicht nur die Gewerkschaften aufgelöst, sondern deren Versicherungen und gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaften in die Organisation „Deutsche Arbeitsfront“ der Nationalsozialisten überführt worden. Schwethelm berichtete auch über Plünderung und Vertreibung der jüdischen Familie Lennhoff und die mörderische Jagd Soltauer Bürger auf entflohene KZ-Häftlinge. Die meist gegen Widerstände erfolgte Erinnerungsarbeit an die Verbrechen der Nationalsozialisten „sollte auch uns erinnern, wohin Ausländerfeindlichkeit, Hass auf Andersdenkende, führen kann“, unterstrich Schwethelm.
DGB-Sprecher Heinz-Dieter „Charly“ Braun erklärte, die kleine Erinnerungstafel ans Volkshaus hänge viel zu hoch am dort heute stehenden Geschäftshaus. Zudem müsste der Text auf der Tafel ergänzt werden, um die Tragweite der Verbrechen der Nationalsozialisten darzustellen. Braun schilderte, wie sich diese seinerzeit Gewerkschaftshäuser aneigneten „und alles und jede Regung der Bewegung der Arbeiterinnen und Arbeiter mit mörderischer Brutalität verfolgten.“ Die Selbstorganisationen der Arbeiterinnen und Arbeiter seien mit ihren Räumen, so auch denen im Soltauer Volkshaus, kulturelle, soziale und politische Knotenpunkte gewesen – und die Organisationen die „entschiedensten Verteidiger demokratischer Errungenschaften, die nach dem Ersten Weltkrieg erkämpft wurden.“ Die Nationalsozialisten hätten versucht, diese „antikapitalistische Widerstandskultur ein für allemal zu beseitigen.“ Mit Blick auf die heutige Zeit betonte der Gewerkschaftssprecher, dass man die Worte der Rassistinnen und Rassisten ernst nehmen müsse. Und: „Bürgerliches Rechtsüberholen der AfD ist Steigbügel halten für Faschisten“, so Braun, „denn die Grenzen verlaufen nicht zwischen Nationen, Hautfarben, sexueller Orientierung, sondern zwischen oben und unten.“
Die anschließende erstmalige Mai-Demonstration führte zum neuen „Haus der Gewerkschaften“ zum Maifest. Ein vielfältiges Getränke- und Essensangebot und die Musik von Silke und Laurent Quirós wurden gern angenommen. Das angebotene offene Mikrofon wurde für Kritik an der AfD und auch an den Plänen der großen Koalition genutzt. Mehrfach in der Kritik stand die enorme Ausweitung gesetzlicher Höchstarbeitszeiten. Dazu DGB-Sprecher Braun: „78-Stunden-Woche ist physisch unerträglich. Die Entgrenzung des Acht-Stunden-Tages ist ein zurück vor die Zeit der Revolution 1918.“
In Schneverdingen begrüßte die SPD nach eigenen Angaben rund 250 Zuhörer bei ihrer Maikundgebung vor dem Rathaus. Nach den einleitenden Worten des SPD-Ortsvereinsvorsitzenden Felix Menzel ging SPD-Kreisvorsitzende Aynur Colpan auf den 1. Mai als Tag für Zusammenhalt und für die Würde der Arbeit ein. Er stehe für Solidarität, für Gerechtigkeit und für das Versprechen, dass jede und jeder in diesem Land von seiner Arbeit leben können müsse. „Und dieses Versprechen gerät gerade gewaltig unter Druck – hier im Heidekreis, aber auch weit darüber hinaus.“ Colpan nannte dünner gewordene Auftragsbücher vieler Betriebe, fehlende Fachkräfte, ausbleibende Investitionen und steigende Preise. Hinzu kämen die internationalen Entwicklungen. Der Blick in die USA zeige, wie schnell soziale Fragen zur Spaltung einer Gesellschaft führen können – und wie gefährlich es sei, wenn Populisten einfache Antworten auf komplexe Probleme geben.
„Auch bei uns nutzen rechte Kräfte die Unsicherheit vieler Menschen schamlos aus“, warnte sie und unterstrich: „Wir lassen niemanden allein.“ Colpan forderte mehr Tarifbindung. „Wer krank wird, wer in Rente geht oder wer plötzlich ohne Job dasteht, der verdient Unterstützung, ohne stigmatisiert zu werden“, forderte sie zudem eine Weiterentwicklung des Sozialstaats. Eine gute Ausbildung vor Ort sowie bezahlbarer Wohnraum waren weitere Punkte ihres Forderungskatalogs. Doch mit Forderungen allein sei es nicht getan. „Veränderung kommt nicht von allein. Sie braucht Menschen. Menschen, die bereit sind, mit anzupacken.“ Sie forderte deshalb die Zuhörer auf, sich einzumischen – zum Beispiel in der SPD, in örtlichen Vereinen, im Ehrenamt.
Anschließend ging Colpans Co-Vorsitzender und Landtagsabgeordneter Sebastian Zinke auf die Verbindung der Begriffe Arbeit und Freiheit ein. Unter den Nationalsozialisten seien sie perfide miteinander verwoben worden. Allerdings wisse jeder, „dass Nazi-Deutschland kein Land der Freiheit war, sondern eines des Hasses.“ Dieser habe sich gegen politisch Andersdenkende, Literatur, gegen Andersgläubige, gegen die Völkerverständigung und Freundschaften zu anderen Staaten sowie letztlich gegen den Frieden gerichtet. Und dies habe zum furchtbaren Zweiten Weltkrieg mit seinen Millionen Opfern geführt.
Zinke appellierte, „dass Frust und Hass nie wieder zur Leitlinie deutscher Politik werden dürfen.“ Heute lebten die Menschen in Deutschland in Freiheit, Wohlstand und Frieden. „Ein Menschenleben zurückgeblickt zeigt uns aber, dass all das nicht selbstverständlich ist.“ Es gelte, diese Errungenschaften zu erhalten. „Ein besseres Land kommt nicht von allein. Es gibt keinen Lieferservice, der uns all das bringt.“ Auch der Staat oder die Politik seien nicht dieser Lieferservice. Jeder einzelne müsse anpacken, damit Wertschöpfung und Wohlstand entstehen. „Und das gerade in einer Zeit“, so Zinke, „wo uns an jeder Ecke Veränderungen begegnen, wo wir feststellen, dass wir nicht so weitermachen können wie bisher“.
Die Zuhörer wurden bei sonnigem Wetter vom Spielmannszug Schneverdingen unterhalten. Zudem konnten sie sich an einer Bratwurst- und einer Getränkebude stärken. Für Kinder war zudem eine Hüpfburg aufgebaut.