„Schwerwiegende Folgen für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung“ befürchtet Doris Seelig, Inhaberin der Alten Stadtapotheke in Soltau. Sie kritisiert die Pläne des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) für eine Apothekenhonorar- und Apothekenstrukturreform („Apothekenreformgesetz“). Die Vorsitzende des Bezirks Celle des Landesapothekerverbandes Niedersachsen (LAV) ruft das Bundesgesundheitsministerium dazu auf, „von den Plänen Abstand zu nehmen.“
„Das BMG plant mit der Reform einen kompletten Systemwechsel und höhlt das Apothekensystem aus, das sich besonders auch in Krisen bewährt hat“, kritisiert Seelig: „Wir Apothekerinnen und Apotheker lehnen deshalb den Gesetzesentwurf ab. Das BMG zerstört bewusst das Apothekensystem und verschlechtert die Qualität der Gesundheitsversorgung der Bürgerinnen und Bürger.“
Das BMG sehe unter anderem eine Umverteilung des Honorars der Apotheken innerhalb des Apothekensystems vor. „Reine Umverteilung wird zu keiner wirtschaftlichen Stärkung der Apotheken führen“, erklärt die Apothekerin. Und weiter: „Es muss mehr Geld ins System und das Apothekenhonorar erhöht werden. Das Apothekenhonorar ist durch Kürzungen des Gesetzgebers in den vergangenen Jahren auf dem Stand von 2004. Im gleichen Zeitraum sind die Kosten stark und die Inflation um 30 Prozent gestiegen. Wir fordern deshalb eine regelmäßige Anpassung des Apothekenhonorars.“
Unter anderem sieht der Entwurf vor, dass Apotheken in Zukunft ohne Apothekerinnen und Apotheker betrieben werden können, wenn diese per Video zugeschaltet werden können. Pro Woche sind nur mindestens acht Stunden Anwesenheit geplant.
„Das führt dazu, dass die Patientinnen und Patienten mit enormen Leistungskürzungen rechnen müssen. Leistungen wie die Abgabe von Schmerzmitteln, Erkennen von Einnahmeproblemen, Medikationsanalysen, die Herstellung von Arzneimitteln oder Impfungen dürfen nur Apothekerinnen und Apotheker durchführen. Vor allem der Nacht- und Notdienst könnte ganz wegfallen. Durch den Nacht- und Notdienst entlasten die Apotheken aber auch die anderen systemrelevanten Institutionen, die Arztpraxen und Krankenhäuser“, stellt Seelig klar.
Darüber hinaus sieht die Apothekerin den Plan von „Filialverbünden“, die aus einer Hauptapotheke, bis zu drei Filialen und maximal zwei weiteren „Zweigapotheken“ bestehen sollen, kritisch. Diesen Entwurf lehnten auch die Gesundheitsminister der Länder mehrheitlich ab.
Darüber hinaus kritisiert Seelig die angestrebte Liberalisierung der Arzneimittelversorgung. „Aus der Arzneimittelversorgung wird ein reiner Logistikprozess. Pharmazeutische Expertise und Kompetenzen spielen bei der Medikamentenabgabe nach den Plänen des BMG keine Rolle mehr“, erläutert die Apothekerin: „Das BMG ermöglicht so „Apothekenkonzerne“. Eine neutrale, unabhängige Versorgung durch unabhängige und freie Heilberufe vor Ort wird nicht mehr stattfinden“.
Durch die Pläne des BMG werde auch der Apothekerberuf massiv gefährdet: „Das BMG provoziert den Wegfall einer Vielzahl von hoch qualifizierten Arbeitsplätzen, weil die Inhaberinnen und Inhaber sich dem Wettbewerbsdruck stellen und Apothekerinnen und Apotheker durch anderes Personal ersetzen müssen“, so Seelig. Es gebe durchaus Alternativen zu den BMG-Plänen: „Eine frühzeitige und dauerhafte Einbeziehung der pharmazeutischen Kompetenzen von Apothekerinnen und Apothekern in die Arzneimitteltherapien kann zum Beispiel Leben retten. Apotheken sollten mehr Entscheidungskompetenzen erhalten, zum Beispiel beim Management der Lieferengpässe. Die Apotheken können stärker in die Gesundheitsversorgung eingebunden werden, wie durch ein interprofessionelles Medikationsmanagement oder mehr Möglichkeiten der Primärversorgung in der Apotheke.“
Seelig: „Die Wertschätzung unserer Leistungen während der Pandemie scheint vergessen. Anders können die Ideen nicht verstanden werden. Das BMG sollte anstatt dieser Pläne das Potenzial der Vor-Ort-Apotheken nutzen, um das Gesundheitswesen für die Zukunft zu stärken. Nur dann kann das Versprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz, Leistungskürzungen im Gesundheitswesen zu verhindern, eingehalten werden. Wir werden deshalb der Politik und Öffentlichkeit weiterhin die Alternativen zu den BMG-Plänen aufzeigen.“