Seit vier Jahrzehnten für „kulturelle Vielfalt“

Kulturinitiative Soltau feiert 40-jähriges Bestehen - ein Rückblick

Seit vier Jahrzehnten für „kulturelle Vielfalt“

„Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen“, schrieb einst Theodor Fontane (1819 - 1898), deutscher Schriftsteller, Journalist, Erzähler und Theaterkritiker. Jahr für Jahr verlassen junge Leute die Stadt, in der sie geboren worden und aufgewachsen sind, um in der Ferne zu studieren oder eine Ausbildung zu machen. Viele kehren anschließend wieder in die Heimat zurück, um in dieser beruflich Fuß zu fassen und Familien zu gründen. Das war auch schon vor vier Jahrzehnten so. Die jungen Soltauer, die Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre nach ihren „Lehrjahren“ wieder „daheim“ in der Böhmestadt Wurzeln schlugen, hatten allerdings, inspiriert vom kulturellen Leben in den „Studentenstädten“, viele Ideen mitgebracht. Sie wollten das in der Ferne genossene Freizeitprogramm mit Konzerten, Kabarett und Kleinkunst auch in hiesigen Gefilden etablieren, inspiriert von Einflüssen aus den gesellschaftlichen Bewegungen der 60er und 70er Jahre. Daher gründeten sie die Kulturinitiative (KI) Soltau. Diese feierte jüngst in der Filzwelt Felto mit Mitgliedern, Unterstützern und treuen Wegbegleitern ihr 40-jähriges Bestehen. Ein guter Anlass für einen Rückblick.

„In den ersten Jahren hatte die Kulturinitiative nur wenig Mitglieder und sehr wenig Geld“, berichtet Jürgen Weykenat. Er zählt zwar nicht zu den Gründungsmitgliedern, war aber nahezu von Beginn an mit an Bord und ist langjähriger Vorsitzender der KI. „Die Initiative stand in den ersten drei bis fünf Jahren immer wieder vor der Pleite. Es gab hohe Kosten, vieles trug sich nicht. Damals sprang der Stadtjugendring mehrfach ein und unterstützte uns finanziell“, so Weykenat. Die jungen Soltauer gaben jedoch nicht auf, machten unbeirrt immer weiter. Die „Wende“ leitete der damalige Bürgermeister Emil Werner ein, der zum fünfjährigen Bestehen der KI im ehemaligen Hotel Heidland eine Rede hielt und den Kulturschaffenden mit dem Hinweis, das ein „Fünfjähriges“ kein Jubiläum sei, augenzwinkernd fünf Fünf-D-Mark-Stücke überreichte. Die Übergabe der „Heiermänner“ als symbolische Geste war offenbar der herbeigesehnte Brustlöser: „Von da an ging es bergauf. Die Zahl der Mitglieder stieg binnen kurzer Zeit stetig an. „Seitdem hat die KI stets rund 100 Mitglieder und wir haben immer mehr Zugänge als Abgänge“, freut sich der Vorsitzende: „Es sind viele dazugekommen, auch durch die Veranstaltungen in der „Kantine.“ Die Räume in der Straße Unter den Linden 2 kann die Initiative dank Mitglied Gerd Röders nutzen und hat in den Räumlichkeiten bereits im Jahr 2003 ein Kulturcafé etabliert. Viele Künstlerinnen und Künstler sind seitdem dort aufgetreten.

Was die Alterstruktur angehe, so seien die meisten Mitglieder „mit der KI alt geworden“, sagt Weykenat. Der 67-Jährige berichtet, dass Nachwuchssorgen auch in der Kulturinitiative Thema seien. Aber durch Veranstaltungen wie das seit zehn Jahren ausgerichtete Fest der Musik sei es gelungen, ein wenig gegenzusteuern. „Solche Veranstaltungen bringen ein junges Publikum mit sich“, so der Vorsitzende. Er ist im Jahr 1983 in die KI eingetreten, die nach der Gründungsversammlung am 24. November 1982 am 10. Februar 1983 in das Vereinsregister beim Soltauer Amtsgericht eingetragen wurde. Am 19. September 1983 erkannte das Finanzamt Soltau die Gemeinnützigkeit an.

Gründungsmitglieder waren Heinz-Dieter „Charly“ Braun, Wilhelm Ruhkopf und Frau Nicole, Karin Mackowiak, Anett Vogel, Hermann Schulze und Christoph Dezelske. Sie schrieben sich seinerzeit auf die Fahnen, in Sachen kulturelle Angebote eine Alternative zum bestehenden Programm zu bieten. Es sollte ausgebrochen werden aus der „kleinstädtischen Enge“. Die Gründer wollten etwas anderes bieten als „folkloristische Tradition“, verschrieben sich vielmehr der „kulturellen Vielfalt.“

Das stieß anfangs nicht überall auf Gegenliebe, aus den Reihen des 1953 gegründeten Kulturvereins gab es phasenweise Gegenwind. „Das ging soweit, dass man versucht hat, einigen KI-Mitgliedern beruflich Schwierigkeiten zu machen“, so Weykenat. Aber auch auf politischer Ebene seinen nicht alle den jungen Kulturschaffenden wohlgesonnen gewesen. Weykenat erinnert an einen CDU-Ratsherren, der der KI seinerzeit vorgeworfen habe, „die Hausbesetzerszene in Berlin zu unterstützen“.

Der Christdemokrat habe sich damals auf die Satzung der KI berufen, nach der die Stiftung Synanon in Berlin im Falle einer Auflösung der Kulturinitive das Geld aus der Vereinskasse erhalten solle. „Dabei handelt es sich allerdings nicht um Hausbesetzer, sondern um eine in Selbsthilfe organisierte Suchthilfegemeinschaft, die Hilfe bei Suchtproblemen anbot und auch heute noch anbietet“, so Weykenat. „Im Rat zu behaupten, wir unterstützen Hausbesetzer, das ist einfach nicht wahr gewesen“, ärgert sich der Vorsitzende auch heute noch über diese „Posse“. Inzwischen habe die KI ihre Satzung geändert. Im Falle einer Auflösung gehe das Geld nun an den Stadtjugendring. Die Einrichtung in Berlin leiste zwar auch heute noch wertvolle Arbeit für Menschen mit Suchtproblemen, jedoch hielten es die Mitglieder der Kulturinitiative für angebracht, „dass das Geld, sollte sich die Kulturinitiative auflösen, in der Region bleibt.“

Apropos Geld: Finanziell gehe es dem Verein gut, so Weykenat. Trotz Corona-Pandemie habe die KI im vergangenen Jahr lediglich 1.000 Euro Minus gemacht. Das sei jedoch kein Beinbruch, schließlich habe der Verein in Sachen finanzielle Mittel „ein gutes Polster.“ Gerade in Corona-Zeiten habe sich bewährt, dass es durch die Mitgliedsbeiträge eine stabile Basis gebe. „Wir sind gut durch diese Zeit gekommen“, unterstreicht der Vorsitzende. Im Jahr 2020 sei zwar recht wenig gelaufen, im Sommer allerdings habe es mehrere Veranstaltungen im Freien gegeben. „Spektakulär“ sei dabei die Aktion „Zehn Musiker - zehn Bühnen - zehn Teilnehmer“ gewesen. Zehn Gruppen mit jeweils zehn Teilnehmern hätten damals Musik, Kunst und Kultur an zehn Stationen genossen. „Die 100 Karten waren schnell ausverkauft. Das hätten wir auch zweimal machen können. Die Leute hatten Hunger auf Kultur, es war sehr viel los. Eine sehr schöne Aktion, die wir wiederholen sollten“, berichtet der KI-Chef: „Wir wollten etwas machen, das verbindet.“

Die Idee, eine „Kulturtasche“ an die Mitglieder zu verschicken, damit diese zum Beispiel mit Büchern gefüllt an andere weitergesendet wird, sei nicht auf die erhoffte Resonanz gestoßen. Etwas im wahrsten Sinne des Wortes Verbindendes sei allerdings ein Erfolgsprojekt gewesen: der „Pandemie-Quilt“. „Mitglieder reichten 35x35 große Stücke ein, die dann zu einem großen Quilt zusammengefügt worden sind. Er hat jetzt in der Filzwelt Felto seinen Platz gefunden.“

Was seit jeher verbindet, ist Musik. Die Macher der KI haben von Beginn an auf Vielfalt und Abwechslung Wert gelegt. Ob Jazz, Rock, Blues, ob Kabarett oder Theater. „Oft sind wir Vorreiter gewesen, zum Beispiel mit dem Krimi-Dinner im Hotel Heidland“, so Weykenat. Auch an die Theateraufführungen für die Schulen zu Weihnachten mit bis zu vier Aufführungen an zwei Tagen erinnert er sich gern zurück: „Wir haben damals mit dem Cocomico-Theater aus Köln zusammengearbeitet. Das waren Profis, die hier mit zwei Lastwagen ankamen. Das waren Bühnenaufbauten ohne Ende.“

Insgesamt habe der Verein seit seiner Gründung rund 400 Veranstaltungen auf die Beine gestellt. Vieles von der KI angeschobene, zum Beispiel das Krimi-Dinner, hätten andere dann in Eigenregie weitergeführt. Dann habe sich die Initiative wieder anderen Projekten gewidmet. „Alles hat seine Zeit, irgendwann ist alles mal durch“, sagt der Soltauer.

Im Laufe der vier Jahrzehnte habe es etliche Highlights gegeben. „Im Jahr 1985 haben wir Wolf Biermann gewonnen, der mit der Generalprobe für seine Tournee in der Aula des Gymnasiums aufgetreten ist. Das war schon etwas Besonderes. Eigentlich hatten wir alle großen Liedermacher hier. Franz Josef Degenhardt war da, Hannes Wader mehrfach. Auch Klaus Lage ist mehrfach aufgetreten“, so der Vorsitzende

Längst Geschichte sind die anfänglichen Dissonanzen, Stichwort Kulturverein. „Der Kulturverein hat sich verjüngt, der Kontakt ist viel intensiver. Die Zeiten haben sich sehr geändert“, betont Weykenat. „Ob bei der ‚Oper im Park‘ in Zusammenarbeit mit dem Verein Breidingsgarten oder bei der Veranstaltungsreihe ‚Soltau macht Töne‘ mit dem Heimatbund und dem Museum - wir kooperieren sehr gern“, unterstreicht er. Auch mit der Stadt Soltau, der Lebenshilfe und der Filzwelt funktioniere die Zusammenarbeit, alle kämen sehr gut miteinander aus. Ein großes „Dankeschön“ richtet der Vorsitzende an Veranstaltungstechniker und Eventdienstleister Jan Leudolph: „Er hat uns sehr lange und ziemlich selbstlos unterstützt“, betont Weykenat.

Es geht also harmonisch zu in der Kulturinitiative und in der Zusammenarbeit mit anderen Kulturschaffenden. Zicken hat allerdings ein neues „Mitglied“ gemacht, zumindest anfänglich: der „kult-O-mat“. Dieser Automat aus den 60er Jahren war einst in der Berliner Justizvollzugsanstalt Moabit zu finden und ist nun „rehabilitiert“. Er hängt an der „Kantine“, ist mit allerlei kreativen Basteleien gefüllt und laut Weykenat „eine Erfolgsgeschichte“. 370-mal habe sich dessen Klappe nach Münzeinwurf geöffnet, „im Schnitt wurde einmal am Tag etwas gekauft. Die Künstler erhalten den vollen Betrag, wir verdienen nichts daran. Die Leute, die ihn bestücken, freuen sich, dass sie ihre Sachen verkaufen und für sich werben können“, erklärt Weykenat. Drei Frauen kümmerten sich ehrenamtlich um das Befüllen und die Pflege der Instagram-Seite. Wer seine kreativen Arbeiten über den Automaten anbieten wolle, könne sich per E-Mail unter info@kulturinitiative-soltau.de melden. Anfangs habe es bei der Nutzung des Gerätes hin und wieder Probleme gegeben, „seit einem Jahr funktioniert er aber ziemlich reibungslos“, so der KI-Chef.

Und wie geht es weiter? Laut Weykenat hat die Kulturinitiative ein Projekt in der Pipeline, mit dem weitere jüngere Mitglieder gewonnen werden sollen: „Außerdem sind drei neue, alte Mitglieder in die KI eingetreten, die sich sehr aktiv einbringen und viele Ideen haben. Deshalb gehen wir trotz unserer Altersstruktur optimistisch in die Zukunft. Ein Ende ist nicht abzusehen.“

Logo