Soltauer bietet Waldbaden an: „Urlaub für Körper, Geist und Seele“ | Aktuelle Nachrichten und Informationen

Gemeinsam mit Bernd Möller den „Dolby-Surround-Sound“ der Natur wahrnehmen

Soltauer bietet Waldbaden an: „Urlaub für Körper, Geist und Seele“

Es ist eine kleine Gruppe, die sich am vergangenen Sonntag gegen 11 Uhr auf dem Parkplatz am Standort der Berufsbildenden Schulen Soltau in der Winsener Straße 107 bildet. Eine kurze „Anreise“ hatte die 58-jährige Birgit aus Soltau, während Gerda (70) und ihre Tochter Anne (40) aus Celle deutlich länger benötigten, um pünktlich beim Treffpunkt zu sein. Auch Bernd (63) und Sibylle (62) kommen von außerhalb, stammen aus der Winsener Elbmarsch. Alle sind aus demselben Grund vor Ort. Sie treffen auf dem Parkplatz den Soltauer Bernd Möller, der die Ankömmlinge freundlich begrüßt. Dass sich gleich alle duzen und Möller kurz darauf mit „Shinrin Yoku“ japanische Wörter benutzt, kommt niemandem spanisch vor. Alle freuen sich gespannt auf die anstehende Aktivität: Waldbaden.

„Shinrin Yoku ist die japanische Bezeichnung für Waldbaden“, erläutert Möller. Der 59-jährige trägt ein weißes T-Shirt. Auf der Vorderseite ist in Brusthöhe über seinem Vornamen ein Logo mit einem Zweig zu sehen, darunter steht „Der Waldbader – Urlaub für Körper, Geist und Seele.“ Und genau darum geht es an diesem sonnigen Sonntag im Böhmewald. Die Gruppe soll ein „Bad“ in der Atmosphäre des Waldes nehmen, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen sich sich intensiv auf die Natur um sie herum einlassen, sie sollen sozusagen mit allen Sinnen auf Tuchfühlung mit Pflanzen und Bäumen gehen.

„Und es ist alles okay, alles gut, Augen zu, Flugmodus an“, heißt es im Lied des deutschen Popstars Clueso. Diese Zeile scheint wie für das Treffen am Waldrand geschrieben, denn Möller appelliert an die angehenden „Waldbader“, ihre Mobiltelefone auszumachen oder eben zumindest in den Flugmodus zu schalten. „Es ist nervig, wenn es unterwegs klingelt oder piept“, so der Kursleiter – und alle leisten seiner Aufforderung unverzüglich Folge. Der Gastgeber rät den Teilnehmern ohnehin zum „Digital Detox“, also zum digitalen Entgiften, doch gerade bei der Naturerfahrung sollten die „Always on“-Geräte unbedingt stumm und in der Tasche bleiben.

Bevor es losgeht, führt Möller die Teilnehmer kurz in die Materie ein. „Shinrin Yoku“ kommt ihm bei der Aussprache zwar nicht ganz so leicht über die Lippen, umso mehr aber weiß er über die Geschichte und Vorzüge des Waldbadens zu berichten. In Japan gehöre diese Praxis zur Gesundheitsvorsorge und werde sogar von Ärzten verschrieben. Was die Gesundheit angeht, so hat der 59-jährige eine eigene Geschichte. Der frühere Tischler leidet nach zwei Hörstürzen an Tinnitus. Er hört auf beiden Ohren ein Rauschen und hat auf beiden auch eine Hörminderung. Um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und Ratsuchenden Hilfe zu bieten, hat er vor rund einem Jahr die Tinnitus-Selbsthilfegruppe Heidekreis gegründet (HK berichtete). Über diesen Weg ist er schließlich zum Waldbaden gekommen, das ihm selbst, wie er betont, „bei der Entspannung hilft und zur Verbesserung meines Wohlbefindens beiträgt.“

Damit auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gruppe im Böhmewald nach der Naturerfahrung ausloten können, was das Ganze ihnen persönlich gebracht hat, verteilt Möller vor dem Start Zettel mit Fragen wie „Fühle ich mich gerade entspannt?“, „Fühle ich mich in meinem Körper wohl?“ und „Denke ich an meine Arbeit und an andere Verpflichtungen?“, die mit Zahlen zwischen eins (sehr schlecht) und zehn (sehr gut) bewertet und beantwortet werden sollen. So lässt sich nach der „Walderfahrung“ ablesen, ob der „Urlaub für Körper, Geist und Seele“ für jeden Einzelnen tatsächlich positive Effekte hatte.

Ohne Hast füllen Birgit, Gerda, Anne, Sibylle und Bernd die Zettel aus. Dann geht es in den Wald. Möller bittet um Schweigsamkeit und rät dazu, äußerst langsam zu gehen. „Man spürt jeden Stein unter dem Fuß, man spürt, wie der Waldboden nachfedert“, sagt er mit leiser Stimme. Der Kursleiter zeigt, wie die Füße aufgesetzt werden sollen und appelliert an die Gruppe, die Geräusche in der Natur ganz bewusst wahrzunehmen. Er regt dazu an, den „Dolby-Surround-Sound“ des Waldes“ zu genießen: das Knirschen der Kiesel unter den Füßen, das Knacken kleiner Äste, das Rauschen des Windes, das Zwitschern der Vögel. Er selbst flüstert fast, als er über Tarpene spricht, also die pflanzlichen Duftstoffe, mit denen Pflanzen untereinander und mit Tieren kommunizieren. Er geht kurz auf die Pilze im Boden, die Zusammenhänge, das „Internet des Waldes“, ein. „Wenn es einem Baum nicht mehr gut geht, helfen ihm die anderen“, so Möller.

Fast schon in Zeitlupe bewegt sich die Gruppe schweigend durch den Wald. Mal geht es darum, Dinge wie Äste oder Steine vom Boden aufzuheben und ein Stück mitzunehmen, mal soll ein Baum von weiter weg bis hin zu den kleinen Details auf der Rinde genau unter die Lupe genommen werden. Hier und da wird an einem Blatt gerieben, um sich den Duft um die Nase wehen zu lassen. Dann wieder gibt es eine kurze „Einheit“ progressive Muskelentspannung. Langsamen Schrittes und leise geht es weiter. Krabbelt da ein Käfer? Was ist das für ein Vogel, der mit lauten „Rufen“ auf sich aufmerksam macht?

Es ist zu spüren, wie alle entschleunigen, wie alle die Seele baumeln lassen. Zum „Runterfahren“ trägt auch eine Atemübung bei, ebenso das „blind gehen“ zu zweit: Eine Person schließt die Augen, die andere führt sie durch den Wald. Nach rund zweieinhalb Stunden ist das Waldbaden beendet. Alle Teilnehmer fühlen sich „erfrischt“ – und die Auswertung der Bewertungszettel untermauert dies. Danach geht es noch zum gemütlichen Kaffeetrinken ins Brauhaus, um Erfahrungen auszutauschen und das Erlebte Revue passieren zu lassen. „Es hat allen sehr gut gefallen, fast alle haben den nächsten Termin gebucht“, zieht Möller zufrieden Bilanz.

Gern berichtet er, warum er sich zum „Waldbader“ ausbilden ließ. „Im vergangenen Jahr hatte ich mit meiner ‚kleinen Wahrnehmung‘ so meine Probleme. Ich konnte kaum schlafen und die Gegenwart meines Tinnitus war sehr anstrengend. Die Arztbesuche brachten auch nicht den gewünschten Erfolg“, so der Soltauer. Was also tun? „Da wir zwei wunderbare Hunde haben, bin ich oft und ausgiebig im Wald unterwegs. Dabei begann ich, den Wald intensiver zu hören, zu riechen, zu sehen und auf Kleinigkeiten zu achten. Ich merkte, dass dies mir und meiner Wahrnehmung guttut. Nach den ausgedehnten Wanderungen ging es mir besser.“ Somit begann er, sich intensiver mit dem Thema Waldbaden zu beschäftigen: „Ich habe viel darüber gelesen, Berichte gesehen und das eine oder andere ausgetestet. Heute kann ich gut mit meiner Wahrnehmung umgehen. Der Wald hilft mir dabei.“

Der Böhmestädter ging dann noch einen Schritt weiter und nahm die Ausbildung zum Waldbaden-Kursleiter inklusive Zertifizierung in Angriff: „Wenn mir das guttut, dann kann das anderen doch auch helfen.“ Er setzte sein Vorhaben in die Tat um und machte voller Elan weiter: „Ich habe unsere Selbsthilfegruppe eingeladen, mit mir in den Wald zu gehen. Am 4. Juni war es dann erstmals soweit.“ Möller zeigte den unter Ohrgeräuschen leidenden Teilnehmern, wie er sagt, „dass man seine Aufmerksamkeit umlenken kann“, um innere „Störgeräusche“ ein wenig in den Hintergrund zu bringen. Die eine oder andere Übung lasse „sich auch schön in den Alltag einbauen.“

Die postive Resonanz auf die Naturerfahrungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hat Möller darin bestärkt, seine Waldbaden-Angebote weiter ausbauen zu wollen. Die nächsten Termine stehen bereits fest. Am Sonntag, dem 17. September, geht es in Hützel in den Sölbruch, am Sonntag, dem 22. Oktober, steht dann ein „Herbstgold-Waldbaden“ auf dem Plan. Die Streckenlänge beträgt jeweils um die zwei Kilometer, für die zwischen zweieinhalb und drei Stunden eingeplant sind.

Anmeldungen sind wegen der begrenzten Platzzahl – die Gruppen sollen nicht zu groß sein – erforderlich. Möller nimmt sie per E-Mail unter der Adresse Der-Waldbader@outlook.de sowie unter der Rufnummer 0176-66061650 entgegen. Die Teilnahme ist laut Möller kostenlos, eine Spende indes nehme er gern entgegen. Interessierte sollten wetterfeste Kleidung und festes Schuhwerk tragen und genug zum Trinken sowie ein kleines Handtuch oder Sitzkissen mitbringen.