Reisen eröffnet neue Perspektiven, neue Horizonte. Das trifft auf jeden zu, der sich in fernen Ländern mit fremden Kulturen beschäftigt, ganz besonders aber auf Norbert Schröder-Vorwerk aus Wesseloh. Wenn der 68-jährige Heidjer Länder wie Kuba, Thailand oder die USA besucht, dann kann er die Schönheit der Reiseziele nämlich auf eine besondere Art und Weise erleben – und zwar zunächst im freien Fall und dann ganz entspannt im Gleitflug. „Nobby“, so der Spitzname des Wesselohers, hat eine große Leidenschaft: das Fallschirmspringen. Und wenn er Urlaubsfotos und -filme mit nach Hause bringt, dann sind das auch spektakuläre Aufnahmen seiner Helmkameras, die „Action“ vom Feinsten bieten. Ob Hawaii oder Westerland, ob Schweden, Schweiz oder Spanien – „Nobby“ hat bereits die verschiedensten Länder bereist und dabei etliche Highlights aus der Vogelper-spektive gefilmt beziehungsweise „geknipst“. Im vergangenen Monat hat der Wesseloher das Ganze auf die Spitze(n) getrieben und sich einen Traum erfüllt: Im Zuge einer besonderen Veranstaltung sprang er mit knapp 60 Gleichgesinnten auf Einladung des ägyptischen Ministeriums für Tourismus und Antiquitäten aus jeweils fast 5.000 Metern Höhe dreimal über den Pyramiden von Gizeh ab. Ein unvergessliches Erlebnis für den 68-Jährigen, das er mit beeindruckenden Aufnahmen dokumentiert hat.
Norbert Schröder-Vorwerk ist verheiratet. Er und seine Frau Birgit haben zwei erwachsene Töchter, die 19-jährige Veronique und die 25-jährige Viktoria. Beide haben sich, was das Fallschirmspringen angeht, schon in die Fußstapfen ihres Vaters begeben. Die „Große“ hat bereits zwei Tandemsprünge absolviert, die jüngere Tochter drei. „Meine Frau ist die einzige in der Familie, die leidenschaftlich gern nicht springt“, sagt „Nobby“ und lacht. Er selbst ist seit 1977 stetig und mit großer Begeisterung „auf dem Sprung“. Damals wagte er erstmals auf der niederländischen Nordseeinsel Texel den Ausstieg aus dem „Lufttaxi“. Die Begeisterung für den freien Fall und den Flug hat seitdem nicht nachgelassen.
Insgesamt 1.130 Sprünge hat der Familienvater absolviert. Jeder einzelne ist fein säuberlich in seinen Sprungbüchern notiert. Ein Sprungbuch ist quasi das „Tagebuch“ eines Fallschirmsportlers. Es bietet einen Überblick über die absolvierten Sprünge, zudem werden darin luftrechtlich vorgeschriebene Daten dokumentiert. Die Logbücher helfen beim Training, laden aber auch dazu ein, beim Durchblättern in Erinnerungen zu schwelgen. Zudem sind sie ein Leistungsnachweis, mit dem die Erfahrung und der Werdegang des Springers nachvollzogen werden können. Ein Fallschirmspringer hütet diese „Tagebücher“ wie einen Schatz. Wenn Schröder-Vorwerk Interessierten seine „gesammelten Werke“ zeigt, dann wird schnell klar, dass er zu denen gehört, die behaupten dürfen, „die Welt gesehen“ zu haben – und zwar „von oben“. Allein 250 Demo- und Schausprünge sind in den Logbüchern festgehalten, zum Beispiel beim Hamburger Alstervergnügen, bei verschiedensten Flugtagen und Festen wie Hochzeiten. In den USA ist Schröder-Vorwerk über Kalifornien, Nevada, Illinois, Florida, Alabama und Hawaii aus dem „Lufttaxi“ gestiegen. „Heute springe ich nicht mehr so viel wie früher“, so der Wesseloher. Ein Faible hat er jedoch nach wie vor für die besonderen Sprünge, die „Exotenjumps“, wie er sie nennt.
Besonders gut ist ihm ein Sprung auf Hawaii in Erinnerung geblieben, wo er aus 4.000 Metern Höhe sprang und mit dem Schirm rund 14 Kilometer der Nordseite der Insel abflog. Auch an seinen Sprung in Florida mit Blick auf das Kennedy Space Center und die Startrampen des Space Shuttles denkt Schröder-Vorwerk gern zurück. Ein besonderes Erlebnis war zudem die Landung in Bangkok nach einem Sprung aus einer Maschine der thailändischen Luftwaffe. Als der Wesseloher dort wieder Boden unter den Füßen hatte, umringten ihn mehr als 60 Kinder, die ihn mit der traditionellen Wai-Geste, einer Respektbezeugung, begrüßten und allesamt seinen in Neon-Regenbogenfarben leuchtenden Fallschirm bestaunten: „Das war sehr bewegend“, so der Wesseloher.
Auf der To-do-Liste hatte er bis vor kurzem noch einen Sprung über den Pyramiden von Gizeh, die zu den bekanntesten und ältesten erhaltenen Bauwerken der Menschheit zählen. Der Touristenmagnet befindet sich rund 15 Kilometer vom Kairoer Stadtzentrum entfernt, ist das einzige erhaltene der sieben Weltwunder der Antike und zählt seit 1979 zum Weltkulturerbe. Eine Veranstaltung auf Einladung des ägyptischen Ministeriums für Tourismus und Antiquitäten machte es im November dieses Jahres möglich, das besondere Vorhaben in die Tat umzusetzen und auf der Liste abzuhaken.
Natürlich nutzten Schröder-Vorwerk und seine Frau Birgit den Trip auch zum „Sightseeing“ am Boden. Im Oktober waren bei einem Anschlag in Ägypten zwei Israelis und ein Ägypter getötet worden. Ein Angreifer hatte in Alexandria das Feuer auf eine Reisegruppe eröffnet. „Wir hatten aber keine Angst“, berichtet der Wesseloher. Er sei im stetigen Austausch mit dem Auswärtigen Amt gewesen, zudem habe ägyptisches Personal vom Staat für Sicherheit gesorgt. Zwar war es für das Ehepaar aus der Lüneburger Heide nicht der erste Ägypten-Besuch, aber Sehenswürdigkeiten wie das Ägyptische Museum und die Muhammad-Ali-Moschee standen auf dem Programm. „Wir waren sehr froh, uns vieles angesehen zu haben und haben auch außerhalb der Springerei viele tolle Eindrücke gewonnen“, betont der 68-Jährige. Am vorletzten Tag zum Beispiel hatte der Minister für Antiquitäten und Tourismus höchstpersönlich zu einem bunten Abend auf ein Nilkreuzfahrtschiff eingeladen, mit Essen, Tanzvorführungen und allem Pipapo. „So eine Chance gibt es nicht noch einmal, da sagt man natürlich nicht nein“, sagt „Nobby“ und schwärmt von einem „ganz besonderen Abend.“
Das größte Highlight indes gab es bei Tageslicht: die Sprünge über den Pyramiden. Nach einer gründlichen Einweisung in die Gegebenheiten rund um das Weltkulturerbe und die Landezone an der mittleren der drei großen Pyramiden, der Chepren-Pyramdie, durch die Gastgeber war es schließlich soweit: Eine Lockheed C-130 Hercules der ägyptischen Luftwaffe nahm die knapp 60 Fallschirmspringerinnen und -springer aus Ländern wie den USA, Großbritannien, der Schweiz und Österreich an Bord, darunter neben Schröder-Vorwerk drei weitere Deutsche: der Profi-Kameramann Ralph Wilhelm, ein Hamburger sowie der mehrfache Fallschirmsport-Titelträger Dieter Kirsch. Weitere Teilnehmer waren aus Australien, den Niederlanden, Pakistan, Dubai, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten angereist.
Mit ihren bunten Fallschirmspringer-Overalls und teils farbenfrohen Helmen hoben sich die Zivilisten optisch von den als „Absetzer“ fungierenden Soldaten der ägyptischen Luftwaffe ab, die in ihren olivfarbenen Fliegerkombis militärisch geboten deutlich unauffälliger daherkamen. In seinem neongelben „Outfit“, das er wie auch die Tasche für seinen Fallschirm selbst genäht hat, fiel Schröder-Vorwerk besonders ins Auge. Bunt gemischt war auch die Altersstruktur der Gäste an Bord. „Ich war mit meinen 68 Jahren nicht der älteste Teilnehmer“, so „Nobby“. Was alle einte, war die Vorfreude auf das, was da gleich kommen sollte.
Mit der Kraft ihrer vier Turboprop-Triebwerke brachte das militärische Transportflugzeug die „sprungbereite“ Fracht auf knapp unter 5.000 Meter Höhe. Bei einer Geschwindigkeit von etwa 250 Kilometern pro Stunde öffnete die Besatzung die Ladeluke am Heck. Nach dem entsprechenden Kommando stürzte sich die erste Gruppe Springer in die Tiefe. Die Maschine flog einen Bogen, sodass sich dann auch die zweite Hälfe so richtig fallenlassen konnte. Mittendrin war jeweils der sogenannte „Loadorganizer“, kurz LO, ein erfahrener Springer, der im freien Fall die Bildung von Figuren koordiniert und organisiert. Mit knapp 60 Metern pro Sekunde ging es „abwärts“.
„Das war einfach irre“, schwärmt Schröder-Vorwerk von der Sicht auf Kairo und die Pyramiden. Beim ersten Sprung wurden die Springer etwas zu früh abgesetzt, sodass sie zwei bis drei Kilometer vor der Landezone an einer Straße in der Nähe eines Restaurants landeten, wo sie „aufgesammelt“ wurden. Beim zweiten Sprung lief es besser, beim dritten allerdings verletzte sich der Wesseloher bei der Landung. Er blieb beim Auslaufen mit dem Fuß an einer Steinplatte hängen und schlug sich das Knie auf. „Als früherer OP-Pfleger wusste ich sofort, dass das genäht werden muss“, so Schröder-Vorwerk. Zunächst pickte ihn ein Einheimischer auf, der ihn und seinen Fallschirm auf zwei Kamelen ein Stück des Weges mitnahm. Letztlich brachte ihn ein Sanitätsfahrzeug zu einer Klinik, in der er mit vier Stichen genäht und, wie er betont, „super versorgt wurde.“
Natürlich kann auch beim Fallschirmspringen wie bei so vielem im Leben mal etwas schiefgehen, aber der frühere Ausbilder bei der Luftwaffe kann diesen Sport auch weiterhin nur wärmstens empfehlen: „Wer Spaß an Bewegungen mit seinem Körper hat, Technik liebt und auch ein bisschen das Besondere pflegt, wer den Respekt vor den Naturgesetzen nicht verloren hat und sich dann noch einordnen kann, der findet im Fallschirmsport sicher die richtige Herausforderung.“
Bleibt abzuwarten, welche „Exotenjumps“ Schröder-Vorwerk künftig in Angriff nehmen wird. Sicher ist, dass er seine Sprungbücher noch um das eine oder andere Abenteuer dieser Art ergänzen wird.