Humor haben sie im Wietzendorfer Stärkewerk, das wird gleich mit dem Aufdruck auf den Shirts und Werbegeschenken deutlich. Die trägt und verteilt das Team des Betriebs der Emsland-Stärke GmbH kürzlich beim Tag der offenen Tür am Standort in Kleinamerika. Statt des angebissenen Apfels - das Logo des weltbekannten Technologiekonzerns für Computer, Smartphones und Unterhaltungselektronik - ist unter einer „angeknabberten Kartoffel“ der Slogan zu lesen: „No Apple, but Potato“. Hightech steckt trotzdem drin, in der Produktionsstraße, auf der jährlich aus gut 250.000 Tonnen „Erdäpfeln“ große Mengen Stärke und Proteine gewonnen werden. Dazu werden aus einem Umkreis von bis zu 100 Kilometern Wagenladungen voller Knollen von etwa 400 Erzeugern geliefert. Die kennen bisher meist nur die Annahmestation des Werks. Doch zusammen mit einigen anderen geladenen Gästen gehen rund 500 Besucher bei Besichtigungstouren den gesamten „Weg der Kartoffel“ ab. Zum Tag der offenen Tür hat die hiesige Mannschaft der Emsland Group aber noch aus einem anderen Grund eingeladen: Die Einweihung der Eindampfanlage, die jetzt in Wietzendorf in Betrieb geht und dort Geruchsemissionen komplett und die Menge an Abwasser ganz erheblich reduziert.
Der Anlass für die Veranstaltung am Standort in Wietzendorf sollte ursprünglich ein ganz anderer sein: Der „runde Geburtstag“ des Stärkewerks, erklärt Werksleiter Thomas Hergenröther. Denn die Anlage besteht seit nunmehr einem halben Jahrhundert - genau genommen sogar etwas länger. Doch zum Zeitpunkt des „50.“ seien große Feste wegen der Pandemie schlicht Tabu gewesen, wie Hergenröther in seiner Begrüßungsrede für die 500 geladenen Gäste erinnert: „Da es uns leider nicht möglich war, im Jahre 2020 das 50-jährige Jubiläum unseres Werkes gemeinsam mit Ihnen und Euch zu feiern, haben wir uns dazu entschieden, in diesem Jahr wieder einen Tag der offenen Tür zu veranstalten, an dem wir unter anderem unsere neue Eindampfanlage vorstellen möchten.“
Mit deren Bau habe alles wie geplant geklappt, erläutert Hergenröther zusammen mit Projektingenieur Tobias Niemeyer: „Wir sind zum einen im gesteckten Kostenrahmen geblieben“, so Niemeyer, der zu Beginn der Bauphase vor fast genau einem Jahr die Kosten für das Projekt „im niedrigen zweistelligen Millionenbereich“ kalkuliert hatte. „Zum anderen sind wir auch im geplanten Zeitrahmen geblieben“, ergänzt Hergenröther. So könne die Anlage nun zum Start der Hochsaison in Betrieb gehen, freuen sich Werksleiter und Projektingenieur, „die ersten Testläufe waren bereits erfolgreich, jetzt kann es losgehen.“
Denn ab Ende August herrscht Hochbetrieb: Dann startet die sogenannte Kampagne, bei der die Maschinen und Anlagen bis Ende Dezember auf vollen Touren laufen und die Lieferanten jede Menge Kartoffeln zum Werk nach Wietzendorf bringen. Dort werden die Knollen erst gereinigt und gewaschen und dann in verschiedenen Stufen vermahlen, um schließlich die Stärke auszuspülen. Übrig bleiben die Fasern der Erdäpfel - sowie bisher eine Menge Abwasser. Davon mussten früher jährlich rund 230.000 Kubikmeter größtenteils per Lkw abtransportiert werden. Zudem entstanden ohne die Eindampfanlage durch die Gärungsprozesse Gerüche. Die zogen - wenn im Sommer der Wind ungünstig stand - auch schon manches Mal in die umliegenden Gebiete, stellten Nasen und Nerven einiger Anwohner auf die Probe.
Damit soll es nun dank der neuen Anlage vorbei sein. Die ragt in der Mitte des Werkes in die Höhe, die Türme, Rohre und Leitungen glänzen metallisch in der Sonne. Im Inneren sorgt der sogenannte Fallstromverdampfer dafür, dass sich die Restfruchtwassermenge enorm verringert. Ein weiterer Effekt des geschlossenen Systems ist, dass keine übelriechenden Gase entweichen. Mit dem sogenannten Rohrbündelwärmetauscher im Turm der Anlage werden Wasser und Reststoffe getrennt, die Menge an „schmutzigem“ Abwasser wird so um etwa 95 Prozent reduziert. Nach dem Verdampfungsvorgang von bis zu 90 Kubikmetern Restfruchtwasser pro Stunde bleiben sogenanntes Brüdenkondensat, das als Frischwasserersatz beispielsweise wieder in die Produktionsprozesse oder in die landwirtschaftliche Bewässerung einfließen kann, und ein kleiner Teil Konzentrat übrig. Letzteres Nebenprodukt, kurz PPL genannt (Abkürzung für „Potato Protein Liquid“) werde quasi ein neues Produkt des Stärkewerks, so der Projektingenieur: „PPL ist ein hochwertiger Dünger auf biologischer Basis.“
Dieses Erzeugnis für die Landwirtschaft sehen die Gäste am Ende der Besichtigungstouren durch die Produktionshallen und das große Lager für die riesigen Mengen an Stärke ebenso wie die zahlreichen anderen Artikel, in denen „das weiße Pulver“ aus Wietzendorf schließlich landet: Kartoffelstampf, -klöße und -püree sowie andere Instantprodukte rund um die Erdäpfel. Und weitere wichtiger Abnehmer für die Stärke seien, so wird den interessierten Gästen am Ende des „Wegs der Kartoffel“ erklärt: Hersteller asiatischer Nudeln. Somit könnte auf den bekannte Cup-Noodles-Bechern gewissermaßen auch augenzwinkernd aufgedruckt werden: „No Noodle, but Potato“.